Seelenasche
Schön angeschmiert hatte er ihn, der Seelenklempner!
»Und? Deine Verrückten â verlieben die sich in dich?«, hatte er zurückgeschossen.
Grischa schaute finster. Seine Augen verharrten geduldig auf Neda, die unter seinem kurzsichtigen Blick vermutlich verschwamm. Neda hatte ihren Kopf nach Süden, zur fernen, unwirklichen Silhouette des Rila-Gebirges, gewandt.
»Ich nehme an, einige Patienten empfinden dergleichen Gefühle. Auch Christus hat seinen Kontakt zu den Menschen durch Liebe hergestellt.«
»Der hat es aber nicht drauf angelegt, geliebt zu werden , sondern hat gepredigt, die Menschen sollten einander lieben.«
» Einander , natürlich, nur dass ich halt zwischen meinen Kranken sitze.«
»Du stellst Grischa immer Fragen, auf die zu antworten sinnlos ist«, meldete sich Neda still, als wäre sie verdammt worden. »Er ist Arzt, ich bin Aspirantin in Psychoanalyse, du bist Fernsehmoderator, aber keiner von uns ist Gott, oder?«
12
Oh, wie gut er diese Haltung kannte: so zu tun, als sei er gar nicht da. Unbeweglich und mit dem Rücken zu ihm lag sie da, als wolle sie mit der Wand verschmelzen, selbst lebende Wand, eine Wand aus Verachtung, Nerven und Schweigen. Sie las ein Buch, vermutlich einen ihrer Lieblingssoziologen, oder das Kultbuch Zen oder Die Kunst, ein Motorrad zu warten , so vertieft, als wäre sie allein im Schlafzimmer. Der Lichtkegel der Nachttischlampe fiel auf sie wie ein Bonnethütchen. Jordan warf geräuschvoll sein Badehandtuch fort und zündete sich eine Zigarette an. Neda störte der Rauch. Der träge Duft ihres Parfüms hatte in der Luft gelegen, bis er aus dem Bad gekommen war mit dem Ruch der Gewalt. Dieser Zusammenprall von Duft und Rauch trennte sie noch mehr.
»Müde, aber zufrieden kehrten wir heim!« Diese Phrase, die in den stereotypen Reisereportagen der Zeitungen immer wieder auftauchte, hatte sie stets erheitert. Jetzt gebrauchte er diesen Trivialsatz angesichts ihres langen Abstiegs vom Schwarzen Gipfel gleich doppelt ironisch. Neda reagierte nicht auf seine Stimme. Längst war die Phase vorbei, in der heftiger Streit noch eine Verbindung zwischen ihnen schuf oder zumindest so etwas wie Austausch darstellte. Ihr Ãrger hatte sich an seinem häufigen Späternachhausekommen entzündet, was sie in Trübsinn stürzte oder in Anfälle von PorzellanzerschmeiÃwut. Sie stritten sich laut, unnachgiebig, und nie, ohne immer auch sämtliche Sünden der Vergangenheit aufzufahren. All das aber waren wie gesagt noch Spielchen unter Partnern gewesen, wussten sie doch beide, dass die Sache mit einer Versöhnung im Bett enden würde. Ihre Wut aufeinander war eher ein Ritual gewesen, das zur Katharsis führte und ihre Leidenschaft anstachelte.
Nun also diese beleidigende Gleichgültigkeit! Sie fragte ihn nichts, er konnte nichts antworten ⦠Sie hatten wohl jene naturhafte Stille erreicht, in der die Dinge unmerklich zerfallen und wieder ins Chaos zurücksinken. Diese Freiheit tat ihm weh, und er sehnte sich nach einem richtig schönen Streit!
Endlich waren sie allein. Nach ihrem Entschluss, sich scheiden zu lassen, war Emilia eine erstaunlich fürsorgliche GroÃmutter geworden. Wenn sie keine Vorstellung und keine Probe hatte, nahm sie die kleine Jana zu sich. Es mochte gut sein, dass die Anwesenheit ihrer Enkelin mit den beiden Zöpfchen nicht nur die gähnende Leere füllte, die sich in ihrem Leben aufgetan hatte, sondern auch ihr Gewissen beruhigte. In ihrem Unterbewusstsein bildete Jana vermutlich ihre Verbindung zum Jungsein, zur Zukunft, und so wenig Emilia selbst dies auch artikulieren konnte: Einer der Gründe, sich von ihrem Mann Assen trennen zu wollen, bestand wohl in ihrem Wunsch, es möge endlich wieder etwas noch Undefiniertes, aber VerheiÃungsvolles in ihrem Leben geben, eben Zukunft.
Neda las tatsächlich Zen oder Die Kunst, ein Motorrad zu warten . Er blies den Rauch in ihren Nacken. Das bläuliche Rauchwölkchen löste sich in ihrem Haar auf. Da, sie tat etwas, zwar schweigend und angespannt, aber immerhin: Sie blätterte um. Jordan fuhr gebieterisch mit der Hand über ihren Schenkel, fühlte aber nichts als die Kühle ihres Fleisches und ihre Unlust auf jede Art von Berührung. Er suchte den Konflikt, brauchte ihn wie ein Beruhigungsmittel. Noch immer fühlte er sich erniedrigt von der erhabenen, fast religiösen
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