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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Schönheit der Natur auf dem Gipfel des Witoscha. Die physische Müdigkeit kratzte ihn auf, das Halbdunkel im Zimmer und die Nähe seiner Frau zogen ihn an. Er beugte sich vor, nahm ihr das Buch aus der Hand und hatte dabei das Gefühl, er rupfe ein Blümchen aus: Die Wurzeln wehrten sich, aber der zarte Stiel hielt der Gewalt nicht stand.
    Â»Lass uns miteinander reden«, bat er.
    Â»Hast du geduscht?«, fragte sie.
    Â»Bitte, lass uns reden.«
    Â»Worüber?« Sie klang atemlos, als hätten sie einen Ringkampf im Bett vollführt.
    Â»Ãœber uns. Immerhin leben wir ja noch zusammen.«
    Â»Und das erstaunt dich, wie?«
    Â»Nein. Ich wollte etwas Wichtiges mit dir besprechen. Ich glaube den Ärzten nicht, und weißt du, warum? Ich glaube ihnen nicht, weil auch sie am Ende sterben!«
    Â»Aaah, verstehe. Du glaubst den Psychiatern nicht, weil auch sie verrückt sind. Das wolltest du doch sagen, oder?«
    Â»Deine Intelligenz gibt mir wirklich den Rest. Wie soll ich mich bei so viel bewaffnetem Scharfsinn in meinem eigenen Zuhause entspannen, hm? Es soll ein paar Glückliche geben, die zu Hause unbewaffnet rumlaufen, weil es ihre sichere Burg ist …«
    Â»Wenn du geduscht hast, ist ja immerhin der Dreck ab«, unterbrach Neda ihn.
    In seiner langen Erfahrung war Jordan zu der Überzeugung gekommen, dass man in der Familie nicht versuchen sollte, etwas mit Worten zu erklären. Eheleute verfallen in blöde Tautologien und wiederholen immer wieder dasselbe mit der Beharrlichkeit, mit der auch das Leben einfach weitermacht. Jeder hatte für sich genommen recht. Es sah ganz so aus, als seien Worte dazu da, damit Eheleute einander beschuldigen und ihre eigene Schuld verringern konnten. Worte konnten kausale Verbindungen ausdrücken, Gefühle, Geheimes, Magisches, den Schein, das Absurde und die Paradoxien der Existenz, Worte konnten verbinden und auf unglaubliche Weise alles einander annähern – außer zwei Menschen, die jeder nur von sich redeten. Selbst bei noch so großer Differenziertheit können zwei endlose Monologe nicht zum Dialog werden. Der Erkenntnis liegt der Vergleich zugrunde; es ist aber unmöglich, zwei einander ausschließende Wahrheiten gegenseitig abzuwägen, denn entweder ist die eine falsch, oder beide sind bloß Halbwahrheiten. Wie willst du den anderen davon überzeugen, dass du recht hast, wenn du von vornherein sicher bist, dass er unrecht hat? Worte machen aus der Lebensgemeinschaft Ehe eine Pflicht, den anderen zu ertragen. Beiden geht allmählich der Lebenssinn verloren, sie stumpfen ab, hören mit den Zärtlichkeiten und dem Anschreien auf und enden in Gleichgültigkeit und Leere. Bei diesem zähen Gemetzel werden die besten Schwerter stumpf, verlieren an Schärfe und Glanz und verkommen zu einem groben Mordinstrument.
    Â»An allem bist nur du schuld!« Nedas Stimme traf ihn wie eine Ohrfeige. Seine Schläfen pochten, in seinen Ohren brauste es, in seinem Bewusstsein kämpften Schmerz und eine fast kosmische Kälte miteinander.
    Â»Gut, bin ich halt an allem schuld«, erwiderte Jordan, »aber dann musst du mir auch erklären, warum!«
    Seine Zustimmung verwirrte sie zunächst, dann wurde sie böse. Sie fasste sie als fieses Täuschungsmanöver auf, hinter der er seine Truppen in Stellung brachte. Sie zog die Decke hoch bis unters Kinn, als fürchte sie, er könnte sie vergewaltigen. Er spürte ihren Körper unter der schweren Wolldecke zugleich biegsam und unbeugsam; im Unterschied zu ihrem Nachthemd kam er ihm immer transparent vor.
    Neda schien nachzudenken. Ihre Stirn lag in Falten, ihre Augenbrauen waren hochgezogen. Schön sah sie aus, so mit halb geöffnetem Mund und diesen entrückten, abwesenden Augen. Sie hatte entweder Angst vor ihm oder um ihn, aber das machte für ihn keinen Unterschied. Er konnte sogar den Schatten dieser ihrer Angst auf der weißen Wand sehen. Das war der Schatten eines Mädchens, das allein in einem riesigen, leeren Haus geblieben war. Er versuchte, sie zu streicheln, doch Neda wich zurück.
    Â»Du bist schuld, weil du nie da bist«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Sogar wenn du hier bist, bist du woanders. Wie soll ich dich festhalten, mit wem soll ich leben?«
    Â»Was soll ich machen, ich arbeite beim Fernsehen, da hab ich Verantwortung.«
    Â»Ich hab versucht – Gott ist mein Zeuge –, dich in

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