Seelenasche
wären sie einander durch den aromatischen Qualm nähergekommen.
»Ich hasse das Theater!«, sagte Emilia voller Schmerz.
»Wir hassen uns alle ein bisschen selbst«, erwiderte Margarita.
»Ich rieche nach Bühne, träume Dialoge aus schlechten Stücken ⦠furchtbar.«
Sie goss Whisky nach und füllte mit dem warm gewordenen Wasser auf. Die WeiÃe der Vorhänge wirkte belebend. Hinter dem zarten Stoff waberte diffus wie die Ungewissheiten des Lebens der Nebel und verhüllte gnädig den Geist der MittelmäÃigkeit, der einsam in seinem Schutz herumstrolchte. Hoffentlich verspätet sich Theo, bangte Emilia in Gedanken. Ich könnte es nicht ertragen, wenn ich sofort von hier aufbrechen müsste. Die Gläser der beiden Frauen stieÃen klingend aneinander, und ein reiner Widerhall verbreitete sich festlich im Raum.
»Wenn du die Rolle so anlegst, wie ich dich jetzt sehe«, sagte die Lilova gedankenverloren, »dann wird das deine allerstärkste Partie.«
»Wie siehst du mich denn?«
»Ich weià nicht, wie ich es erklären soll ⦠Mutter Courage ist einfach eine Frau, die alles verloren hat.« Margarita Lilova hatte sich im Andrang der Gefühle, die sie überwältigten, auf die Lippen gebissen. Ihr Gesicht sah nun beinahe schön aus. »Ich ähnle ihr, denn ich hab mich immer unsicher gefühlt, verängstigt, und oftmals auch unglücklich.«
»Du? Du bist doch die Beste weit und breit.«
»Das Leben besteht nicht nur aus Theater«, antwortete Margarita mit Ãberzeugung in der Stimme. »Es gibt im Leben auÃer Auftritten auch noch andere, echte Dinge!«
11
Nicht nur der Winter, auch der Schnee oben auf dem Witoscha war alt geworden. Zwar noch rein und weiÃ, hatte er jene Kraft verloren, die Geräusche dämpft, Sonnenstrahlen in Funken reflektiert und Schatten auf Hochglanz poliert. Vom Schwarzen Gipfel aus sah der Himmel tiefblau, fast schwarz aus, so als sähen sie ihn aus einem Flugzeug. Der steile Hang war zerschnitten von der Liftanlage und den Skipisten, weiter unten begannen die Baumstreifen, Nadelbäume, Eichen, Buchen, darunter die schlammbraune Smogschicht über Sofia.
Das gleiÃende Licht verwandelte sich auf der Haut in Wärme, sodass sie nach drauÃen gingen, um ihren Kräutertee zu trinken. In dieser Höhe war die Luft so dünn, dass Jordan auÃer Atem geriet, auch ohne sich viel zu bewegen. Er fühlte sich glücklich. Sie waren umgeben von Alpinisten, manche von ihnen mit entblöÃtem Oberkörper, andere mit einem leichten Anorak um die Schultern. Die eitle Parade der Wedler, Abfahrer und Slalomisten, die neben ihrem Können gleich auch ihre Skiausrüstungen und Markensonnenbrillen, ihre Schneekleidung und Stiefel aus echtem Walrossleder vorführten, hatten sie weit unter sich gelassen. Es ging ihm so gut, weil Alpinisten nicht fernsahen. Hier war er unbekannt, konnte einfach dasitzen und den Duft seines Thymiantees einatmen. Der Wind trug süÃe Aromen heran, kühl war er, als sei er über Gärten mit Eisblumen gestrichen.
Seine Frau sah in ihrer silbrigen Jacke aus wie eine Muschel, die sich geschlossen hatte und treiben lieà in diesem Ozean aus Bläue. Neben Neda hatte sich Andrea niedergelassen mit ihrem offenen Gesicht und den hellen, fragenden Augen. Sie strahlte eine hyperlebendige kindliche Schönheit aus und akzeptierte rückhaltlos alles und jeden; eine gar nicht ungeschickte Methode, um sich davor zu schützen, unter ihren Einfluss zu geraten. Sie hatte das Konservatorium absolviert und gab jetzt Klavierstunden in der Musikschule ihres Stadtviertels. Jordan fragte sich, ob sie mitbekam, was zwischen ihrem Mann und Neda ablief. Sie hatte einen Psychiater geheiratet und glaubte nicht an Wahnsinn.
»Damals arbeitete ich in Karlukowo«, fuhr Grischa fort. Neda belebte sich augenblicklich. »Ein Mann, der an einer schweren Angstneurose litt, hatte in einem Anfall seine Frau erschlagen. Er hatte sich eingebildet, sie lauere ihm auf, wolle ihn umbringen. Seine Krankheit konnte geheilt werden, aber dieser Sonderling stellte mich vor ein quälendes Dilemma: Wenn ich ihn geheilt hätte, hätte er die Sinnlosigkeit seiner grausamen Tat begriffen, denn mit dem Verstand wären auch seine normalen Moralvorstellungen zurückgekehrt â und damit wäre er für sein Lebtag gezeichnet gewesen, ein gebrochener
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