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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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deiner Sendung anzuschauen, aber als ich den Fernseher einschaltete«, flüsterte Neda, »warst du nicht da, verstehst du? Du strahltest nur Abwesenheit aus, weil du bei allen warst!«
    Â»Und ich hab geglaubt, du wärest stolz auf mich. Jede normale Frau wäre stolz auf einen Mann wie mich.«
    Â»Es ist schlimm, wenn das Stolzsein zur Gewohnheit wird und dann zu einer Art Pflicht, einer ununterbrochenen Anstrengung.«
    Â»Mir fehlt die Kraft, um mich eigens für dich zu ändern; es ist mir einfach unmöglich, zur Therapiegruppe zu werden. Dienstags und mittwochs muss ich meine Sendung konzipieren; dabei spreche ich mit mindestens dreißig Leuten am Tag. Donnerstags und freitags geht die Lauferei los, das Anordnen, das Erklären, Vermitteln, Betteln, Drohen. Vor lauter Koffein springt mein Herz im Dreieck. Bis zur Ausstrahlung am Samstag ein einziges Bangen und Zittern, ob alles klappt. Am Sonntag fühle ich mich wie ein ausgeleerter Mülleimer. Es grenzt an Grausamkeit, mir sonntags einen Ort zu zeigen, der reiner, höher und schöner ist als ich. Und der Mensch …«
    Â»Nichts hast du verstanden! Ich wollte dich nicht ins Witoscha schleppen, weil es so hoch ist, sondern weil das Gebirge natürlich und unverfälscht ist.«
    Â»Wie Grischa, nicht wahr? Der ist auch total natürlich und unverfälscht.«
    Â»Grischa lächelt wenigstens nicht. Du bist abwesend und lächelst dabei ständig. Diese charmante Lächelhülse macht mich wahnsinnig.«
    Â»In Ordnung, einverstanden, ich bin eitel; aber es ist eben Teil meines Berufes, erfolgreich und … glücklich auszusehen! Dafür werde ich bezahlt: glücklich rüberzukommen!«
    Neda hörte ihm gar nicht mehr zu. Sie waren schon wieder im Teufelskreis der Worte angelangt, in den Spiralen des individuellen Rechthabens, die einander monologisch umkreisten, sich aber nie berührten. Neda las Zen oder Die Kunst, ein Motorrad zu warten schon zum zweiten Mal. Die Worte in diesem Buch lebten für sie also bereits, bewegten sie, hatten etwas mit ihr zu tun. Na gut, sagte sich Jordan, aber ich bin auch im Recht, weil ich eine Illusion herstellen muss: Meine Wahrheit ist die möglichst munter erscheinende Aufrechterhaltung einer Lüge. Ich bin keine Religion, biete keinen Glauben an, auch keine Erleichterung; aber ist es denn gar nichts, Menschen Gelegenheit zu geben, für eine Stunde jemand anderes zu sein, sich mit dem vor Glück und Erfolg überbordenden Jordan Weltschev zu identifizieren? Mag Grischa um die Normalität einzelner Seelen kämpfen; ich muss halb Bulgarien in die nächste Woche retten!
    Â»Der Spiegel ist das langweiligste und lebloseste Etwas, das ich kenne«, schloss Neda erschöpft. »Er wiederholt nur, vervielfacht eine Gestalt, hat aber weder Phantasie noch lebendige Sinne.«
    Â»Ich habe Sinne … Hier, ich berühre dich.«
    Â»Blödmann! Was berührst du denn?«
    Keinerlei Zunder in ihrem Schlagabtausch, nur ein stilles, mieses Abwatschen, das noch nicht mal die Leute unter ihnen dazu brachte, mit dem Besenstiel an die Decke zu klopfen. Einem ausgelaugten Ackerboden gleich brachte ihr Streit nicht mal Brennnesseln hervor, die Schmerz, Hass und schließlich Nähe hervorriefen. Jordan gab seiner Frau das Buch zurück, blieb fassungslos aufrecht im Bett sitzen, schaute in Nedas Spiegel mit den zwei Seitenflügeln an der Wand gegenüber. Sie bestand aus nichts als Vorurteilen, dachte Jordan – oder lächelte er etwa in diesem Moment? Seine Züge, verdreifacht, sahen gequält und grau aus, wie auf dem Bildschirm eines Schwarzweißfernsehers.
    Enttäuschung ist wenigstens eine Notlösung. Sie erklärt zwar nichts, verschafft unserer Seele aber eine gewisse Erleichterung.
13
    Neben ihm lagen in Stapeln die Zeitschriften Wissenschaft und Technik für die Jugend , Aus aller Welt und Philosophisches Denken . Er blätterte ohne Eile darin, aber auch ohne sich irgendwo festzulesen. Gleich einer fleißigen Biene auf Nektarsuche überflog er die bunten Wiesen und Weiden der Titel und sammelte den saftigen Blütenstaub verwertbarer Information. Manchmal waren es nur beiläufige Mitteilungen oder »wissenswerte Neuigkeiten«, manchmal aber auch größere Artikel zu konkreten Problemen, die sein Hirn mit jenem Honig versorgten, den er in die nächste Wabe seiner Sendung Runder Tisch gießen konnte.

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