Seelenasche
Ihre Wortwechsel gewannen an Tiefe und Sinn, die Projektoren verloschen gleichsam, denn ein innerer Schein überstrahlte sie und erfüllte die Bühne, die sich öffnete, der Vorhang zum Saal fiel in sich zusammen. Und wenn sich herausstellt, dass ich doch Talent habe? , fragte sich Dessislava. Das wäre das Schrecklichste und Verlockendste, was mir passieren könnte â weil ich mich dann verändern müsste!
Glücklich machte sie das nicht. Sie hatte die Kontrolle über sich verloren. Sie war Zuschauer und angetan, aber auch gepeinigt, weil sie das Ende schon kannte. Sie ertappte sich dabei, wie ihr Körper leicht vor und zurück schaukelte. Wie gern hätte sie jetzt geschrien: »Omi, schau sie dir an, die zwei ⦠Die Menschen können auch leben, ohne sich zu lieben. Einmal geboren, verlieren und trennen sie sich pausenlos; und was ist, wenn in der Einsamkeit das Glück der Existenz liegt?« Doch gleich antwortete sie sich selbst mit wütendem Starrsinn: »Nein, Einsamkeit ist nichts als menschliche Eitelkeit, leeres und sinnloses Inszenieren unserer Selbstverliebtheit. So viel gegenstandslose Schönheit könnte ich nicht ertragen!«
4
»Wundervoll ⦠Meine Hochachtung, Kollegin.«
Sie zuckte zusammen, drehte sich um. Doch da war keine Jonka, sondern Evtimov, der ausgebuffte Assistent des heiligen Sotirov, der hinter ihr Platz genommen hatte. Er war ihr »künstlerischer« Leiter, Modellier ihres Geschmacks und ihrer Auffassungen, Teilhaber an ihrem Reifungsprozess und ihr Lehrer in der Kunst des Inkommensurablen. Nur dass Evtimov sich mehr für ihre Beine und ihre Oberweite interessierte als für ihr geistiges Ringen. Das Gerücht, sie sei eine ganz Verworfene, Wilde, die im Bett hemmungslos und unersättlich war, machte ihm Angst und bremste ihn in seinen Annäherungsversuchen; ihre besessene Reinlichkeit hingegen ermunterte ihn. So ein pikanter Widerspruch konnte ja nicht anders, als seine Phantasie auf Hochtouren zu bringen. Als Regisseur verfügte er über Kenntnisse und Einfälle, aber ihm fehlte die Intuition. Seine Inszenierungen glichen Jahrmärkten voller Lärm, Bewegung und überbordender Farbigkeit, die jeden Ausblick versperrten und dem Stück seine Botschaft raubten.
Evtimov war hinter Dessislava her mit der Beständigkeit eines ewig verspäteten Güterzugs. »Ich versteh die Frauen nicht«, hatte er ihr einmal eingeschnappt gesagt. »Vielleicht weil ich selbst nicht weiÃ, wie viel ich ihnen geben kann und wie viel ich von ihnen möchte. Ich bin wie ein Gourmet-Koch, dem seine eigenen Kreationen keinen Appetit machen!«
Nun lächelte er, matt und traurig wie einer mit einem unerfüllten Traum. Geradezu opferbereit lächelte er. Manchmal erinnerte er Dessislava an diesen Danko aus der Parabel von Maxim Gorki, der sich sein Herz aus der Brust riss, um damit den Leuten den Weg zu erleuchten. Nur leider war Evtimovs Selbstentsagung falsch bis zur Abgeschmacktheit, denn er hätte eher Dessislava das Herz aus der Brust gerissen, um sich selbst damit zu beleuchten. Seine Frau war eine Furie, eine eigentlich unwiderstehlich schöne Frau, die aber schrecklich eifersüchtig auf ihn war, weil dies die einfachste Art war, um ihren Ãberdruss und ihren Abscheu vor dem Leben auszudrücken. Diese ihre wahnsinnig machende Eifersucht nötigte ihn nicht nur, Sport zu treiben, um seinen Körper und seine Sinne elastisch zu erhalten, sondern auch, jedem Rock nachzulaufen. Evtimov hatte schon die Hälfte der Schauspielschülerinnen im Bett gehabt. Nun also Dessislava, von der am Lehrstuhl unglaubliche Dinge gemunkelt wurden. Nun sind ja das Geheimnisvolle und Unbewiesene immer schon Anlass zu gesteigertem Interesse und entsprechendem Klatsch, während das Sichtbare und Auserklärte uns nur mit Langeweile und Gleichgültigkeit erfüllen. Er stellte ihr also nach mit der Kraft des Armseligen. Er versuchte nicht nur, einem Kriechtier gleich, ihre göttlichen Beine zu erkunden, sondern auch ihre Gedanken und Gefühle. Ja, sein versonnener Charme war kränkend.
Dessislava schaute auf die Uhr. Die letzte Replik Hamlets erklang wie ein Schlussgong; für heute war die Vorstellung beendet.
»Dank dir für das Teilchen«, kicherte Maja, »morgen komm ich im Skianzug und mit Schneestiefeln. Winterkleidung soll die Potenz des Mannes hemmen, da er sie mit Schnee verbindet. Und
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