Seelenbrand (German Edition)
knallen, daß die Teetasse – wie bei einem Erdbeben – samt Inhalt kurz von der Tischplatte abhob und erst einige Zentimeter weiter mit einem hellen Klirren wieder aufsetzte. Die drei Konfektschüsseln mit den Leckereien taten es ihr gleich.
Er hielt inne, um zu verschnaufen. Seine Finger tasteten ungelenk nach dem großen goldenen Kreuz, das an einer Kette um seinen Hals hing. Die Sache mußte wirklich ernst sein, denn zum erstenmal während ihrer Unterhaltung hatte sein Gegenüber alles Naschwerk beiseite geschoben und sein gerötetes Gesicht in Falten gelegt.
»Mein lieber Junge«, sagte er schließlich nach einer Weile bedächtig, »Sie wissen, daß die Kirche ... solche Ereignisse ... nach Möglichkeit ignoriert. Es wäre unklug, solchen Vorgängen zu viel Beachtung zu schenken. Damit würden wir der allgemeinen Hysterie nur noch Vorschub leisten.«
»Allgemeine Hysterie?« Pierre horchte auf. »Ich denke, wir haben es dort nur mit diesem einen übergeschnappten Totengräber zu tun?«
Der Bischof biß sich auf die Lippe, so, als habe er gerade eine Dummheit begangen. Sein Kopf schwoll wieder rot an, wie der eines übelgelaunten Puters. »Also ... ich meine ... wenn man es genau betrachtet ...« Er sah Pierre bissig über seinen Brillenrand an. »Ihr Onkel hat mich schon vor Ihrem stacheligen Verstand gewarnt.«
Er schnaufte ein paarmal und pumpte dabei nur noch mehr Blut in seinen bischöflichen Kopf. Aber all sein Winden half ihm nichts, da Pierre ihm keine Brücke baute, über die er sich hätte davonstehlen können. Unwirsch wischte er schließlich mit seiner Hand in der Luft herum. »Also ... um der Wahrheit die Ehre zu geben ... es gab fast ein Dutzend dieser Vorfälle in Rennes ... dieser boshafte tote Pfarrer taucht in den letzten Monaten in meinen Berichten häufiger auf, als in den gesamten letzten zwanzig Jahren!« Seine puterrote Exzellenz hielt inne und sah ihren jungen Gast über den Brillenrand an. Aber Pierre sagte nichts, so daß er sich schließlich genötigt sah, weitere erklärende Worte aus seinem überzuckerten Gehirn zu pressen, auch wenn es ihm eigentlich lästig war.
»Nicht genug damit, daß sie mich ständig mit diesem toten Priester belästigen ...«, der Bischof polterte wieder los, und das war wohl erst der Anlauf, »... jetzt soll sich sogar der leibhaftige Teufel unter ihnen bewegen!« Die Augen quollen vor lauter Erregung aus seinem Kopf.
Gleich fällt er um!
Nein, aber er fiel nicht. Statt dessen donnerte er abermals mit der Hand auf das güldene Tischlein, das nun wirklich nichts dafür konnte. Die feine Porzellantasse machte wieder einen erschrockenen Satz. Dieses Mal allerdings über den Rand der Tischplatte in die Tiefe. Wer konnte es ihr auch verdenken? Ein helles Klirren, und ihr Dasein war beendet.
»In dieser ...«, erregt suchte Seine tobende Exzellenz nach dem richtigen Wort, »... Gemeinde ... ist jetzt der Punkt erreicht, an dem ich nicht länger tatenlos zusehen kann!« Mit der feinen Teetasse, die zerstört zu seinen Füßen lag, hatte er kein Mitleid. Er schob sie wütend beiseite und griff dann brummend nach dem kleinen Glöckchen neben sich.
Als sich dessen heller Klang lieblich im Raum verteilt hatte, öffnete sich sofort eine Tür, und eine fahle, in Schwarz gekleidete Person schwebte herein, um, nach einem kurzen Blick auf den Boden, augenblicklich wieder kehrt zu machen. Wenige Sekunden später tippelte dieser junge Mann – bewaffnet mit diversem Kehrgerät und einer neuen Teetasse – zu ihnen an das Tischlein heran. Unter den mürrischen Blicken Seiner Exzellenz versuchte er die Unordnung so schnell und unauffällig wie möglich zu beheben. Er hatte wohl eine gewisse Übung in diesem Punkt.
»Kein Karamel hatte ich Ihnen doch gesagt! Kein Karamel!« herrschte der Dicke dieses dienstbare Wesen von oben herab an. »Ist das denn so schwer zu begreifen? Wollen Sie mich vergiften?«
»Ich bitte um Nachsicht, Euer Exzellenz!« Der Geprügelte verbeugte sich untertänig, und der Bischof gab ihm mit einem mißmutigen Wink zu verstehen, zu verschwinden.
»Nachsicht?« tobte er, während sein Sekretär schleunigst die Tür hinter sich schloß. »Haben Sie das gehört? Ja ... hat denn irgend jemand von ... von ... diesen Teufeln da ... Nachsicht mit dem Magen seines geliebten Bischofs?« schrie er und prügelte auf eine Armlehne seines Throns ein. »Am liebsten würde ich Pater Zacharias in dieses gottlose Nest schicken! Der würde mit diesem
Weitere Kostenlose Bücher