Seelenfeuer
und werft einem armen Krüppel etwas in den Beutel! Wisst Ihr, wie es Jungfer Gassner geht?«, fügte er flüsternd hinzu.
Johannes schüttelte den Kopf.
»Wäre es zu viel verlangt, wenn ich Euch um Nachricht bäte? Ihr wisst, wie sehr mir die Jungfer am Herzen liegt?«
Johannes nickte. Er wusste, Luzia war in der Vergangenheit immer sehr großzügig gewesen. Und zu diesem Bettler hatte sie eine besondere Freundschaft gepflegt.
»Gott schütze Euch und die Euren!«, sagte er und flüsterte im Anschluss: »Ich halte ebenfalls Augen und Ohren offen und den Mund geschlossen.«
Michel Weidacher bewohnte mit seiner Mutter zwei kleine Zimmer in der St.-Veit-Gasse. Johannes führte den Araberhengst zum Hintereingang des Hauses und klopfte an die wettergegerbte Tür.
»Was wollt Ihr von meinem Sohn?«, fragte die ältere Frau neugierig. Während Johannes noch überlegte, was er sagen sollte, erschien gottlob der junge Weidacher selbst in der Tür und ließ den Medicus eintreten. Während Johannes wartete, bis Michels Mutter endlich die Tür hinter sich schloss, entging ihm das Mienenspiel des Wachmanns nicht. Er deutete es irgendwo zwischen Überraschung und leiser Furcht.
»Weidacher, seht mich an!«, begann Johannes scharf, »glaubt Ihr, Luzia Gassner ist eine Hexe?«
Michel schüttelte den Kopf und versuchte dem Blick des Medicus standzuhalten.
»Dann sind wir immerhin zu zweit«, sagte Johannes und berührte den Wachmann an der Schulter.
Michel schüttelte wieder den Kopf.
»Zu dritt!«, erwiderte er leise, »Nanne glaubt schon lange nicht mehr an Jungfer Gassners Schuld. Glaubt mir, wenn wir eine Möglichkeit sähen …« Michel brach ab und rieb sich das müde Gesicht.
»Ich muss Euch nicht daran erinnern, dass Euch Jungfer Gassner unter Einsatz ihres Lebens in den Kerker gefolgt ist und erst durch ihre selbstlose Tat den Verdacht der Hexerei auf sich gezogen hat?« Michel schüttelte den Kopf.
»Das werde ich ihr nie vergessen«, murmelte Michel in der Erinnerung an diese furchtbare Nacht.
»Dann lasst jetzt Taten folgen!«
»Sagt mir, was ich tun kann, und ich werde Euch helfen«, beteuerte Michel.
Johannes wusste, dass er auf dem richtigen Weg war.
»Uns bleibt nicht viel Zeit, doch ich werde mit Eurer Hilfe verhindern, dass Luzia morgen auf dem Scheiterhaufen den Tod findet. Der Plan ist waghalsig und kühn …«
Michels Augen leuchteten. Bei Gott, er fühlte sich waghalsig und kühn! Schon häufig hatte er sich nach einer solchen Gelegenheit gesehnt. Er war es der Hebamme schuldig.
»Eine gewagte Idee, aber sie könnte funktionieren«, bestätigte Michel, nachdem ihm von der Wehr sein Vorhaben verdeutlicht hatte. »Das Wichtigste ist, dass Ihr keine Zeit verliert, wenn ich Euch rufen lasse. Sicher haben wir die größte Chance während der Wachablösung. Wenn die einen bereits fort sind und die Nachfolgenden noch nicht über alle Geschehnisse der vergangenen Schicht unterrichtet wurden.«
Johannes verstand und nickte.
»Jetzt benötigen wir nur noch einen zuverlässigen Boten«, überlegte Johannes laut. »Kennt Ihr den Bettler mit den auffallend grünen Augen?«
Michel nickte.
»Niemand wird Verdacht schöpfen. Bettler bewegen sich bisweilen beinahe unsichtbar. Doch das Wichtigste ist«, Johannes machte eine kurze Pause, »er ist Luzia mehr als wohlgesonnen und würde mit Sicherheit einen kurzen Botengang übernehmen.«
»Also gut! Ich sehe ihn häufig am Frauentor. Von dort ist es nicht weit bis zum Grünen Turm, und wenn es dunkel wird,
öffne ich den kleinen Verschlag neben dem Eingang. Dort soll er heute Nacht auf mich warten.«
Johannes verabschiedete sich mit leichtem Gepäck von Michel. Hoffnung wiegt nicht schwer …
26
M it einem Schrei des Entsetzens schleuderte Eusebius Grumper das Bündel von sich. Er verfluchte sich dafür, die roten Flechten der Gassnerin heimlich an sich genommen zu haben, nachdem der Henker ihr das Haar geschoren hatte. Seit dem vermaledeiten Tag hielt er sie auf dem untersten Brett seines Bücherregals vor den neugierigen Blicken Gretes und Bruder Heinrichs versteckt.
Beinahe täglich hatte Grumper an dem Haar gerochen und die seidigen Flechten durch seine Finger gleiten lassen, doch jetzt lagen sie in der glimmenden Feuerstelle seiner Wohnstube. Als die Flammen in einem Fauchen erwachten, wich er ängstlich zurück. Der Kaplan glaubte in den lodernden Zungen das Antlitz der Gassnerin zu erkennen. Während sich ihr dichtes, rotes Haar wie
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