Seelenfeuer
lebende Schlangen wand, erinnerte es Grumper an das Haupt der Medusa. Aus dem Zischen des Feuers vernahm er die drohende Stimme der Hexe: »Ich verfluche dich für alle Zeiten und durch alle Leben, bis ans Ende aller Tage!« Ein wehklagendes Stöhnen entwand sich seiner Kehle, ehe er nach dem geweihten Salz griff und eine Handvoll in die Feuerstelle warf. Abermals prasselten die
Flammen hoch und leckten gierig an dem Stein, der es gefangen hielt.
So ging es nun schon seit dem letzten Tag in der Folterkammer. Die Gassnerin verfolgte ihn bis in seine Träume. Die Hexe begegnete ihm überall. Selbst in der spiegelnden Oberfläche des Weihwasserbeckens bedrängte sie ihn mit ihrer verführerischen Schönheit. Sie erschien ihm in jeder Pfütze und ließ ihm keine Ruhe mehr. Der warme Duft der Gassnerin verfolgte ihn überallhin. Selbst seinen Schlaffellen und seiner Strohmatratze entstieg die Blume ihrer Weiblichkeit und tauchte seine Gedanken in ein loderndes Meer. Seit Ewigkeiten hatte er kein Auge mehr zugetan, und wenn er tatsächlich einmal schlief, erwachte er aus einem furchtbaren Albtraum. Dann erschien ihm die Gassnerin als eine uralte Göttin, die ihm ihre Allmacht aufzeigte, indem sie ihn zwang, ihre Milch aus einem geschliffenen Kelch zu trinken. Doch es kam noch schlimmer, manchmal hatte er schon geträumt, dass die Hexe seinen nackten Leib mit ihrem Mondblut besudelte. Mit Fingern, so filigran wie Feenhaar, malte sie heidnische Zeichen auf seine Brust, ehe sie ihn in das ewige Höllenfeuer verbannte und selbst im Strom der Zeit verschwand.
Es gab kein Eckchen in seinem Haus, in dem er vor ihr sicher war, deshalb irrte der Kaplan jede Nacht stundenlang durch die Stadt.
Erleichtert sah er zu, wie sich das Haar der Hexe mit einem letzten Zischen in Rauch auflöste. Doch da erschien ihm die Gassnerin schon wieder so wahrhaftig, dass er sich mit bebenden Fingern in seinen schwarzen Mantel hüllte und das Pfarrhaus eilends verließ. Auf dem Weg zur Kirche war alles ruhig, selbst der Wind schien bereits zu schlafen. Mit einer Laterne
in der Hand eilte er die Gasse hinunter. Als Grumper eine Stunde nach Mitternacht das schwere Eichenportal zur Kirche öffnen wollte, erhob sich ein scharfer Luftzug aus dem Nichts. Mit zitternden Händen steckte er den großen Schlüssel ins Schloss. Die Tür sprang auf, und er rettete sich mit klopfendem Herzen ins Innere des dunklen Gotteshauses. Er hastete zum Altar, wo der Tabernakel in eine steinerne Stele eingelassen war. Darüber leuchtete rot und tröstend das ewige Licht. Während seine Lippen ein stummes Gebet formten, suchte der Kaplan nach dem Schlüssel zum Allerheiligsten. Im Tabernakel befanden sich als Symbol für den Leib Christi die geweihten Hostien. Als er das Sühneopfer aus Weizenmehl an seinem Gaumen spürte, streifte ein weiterer Hauch sein Gesicht. Obwohl in der Liebfrauenkirche völlige Windstille herrschte, begann das milchige Licht seiner Laterne zu flackern. Angsterfüllt starrte der Kaplan in die zuckende Flamme.
»Kinder, es ist die letzte Stunde!«, begann Grumper die Verführung durch den Antichristen aus dem ersten Brief des Johannes zu rezitieren. Schweiß brach aus jeder Pore, und gleichzeitig zitterte er vor Kälte. Als er glaubte, in dem tanzenden Schein des ewigen Lichts Luzias Haar zu erkennen, stieß er in wilder Hysterie seine Laterne von sich, deren Licht verlosch, und sank auf die Knie. Mit zitternden Händen bekreuzigte er sich mehrmals, als plötzlich auch die ewige Flamme hinter dem roten Glaszylinder zu flackern begann. Dann erlosch auch dieses Licht.
Als sich Grumper in völliger Dunkelheit wiederfand, klopfte sein Herz wie Trommelschläge gegen die Rippen. Er kroch auf allen vieren zur ersten Bankreihe. Erst dort erhob er sich
und tastete sich blind bis zum Portal. Ein Blick zurück sagte ihm, dass die Hexe ihn nur getäuscht hatte. Die Flamme des ewigen Lichts brannte rot und still. Selbst seine erloschen geglaubte Laterne warf ihren warmen Schein wieder auf den grauen Steinboden.
In wildem Entsetzen riss Grumper die schwere Kirchentür auf und stolperte auf den dunklen Platz. Wie vom Teufel selbst gehetzt, eilte er durch die finsteren Gassen der Stadt davon. Der Wind erhob seine sanfte Stimme zu einem bedrohlichen Brausen und trieb ihn wie eine Strohpuppe vor sich her. Sein Herz schlug gegen die Rippen, als wollte jeder einzelne Schlag die Knochen zum Bersten bringen. Schweiß rann ihm den Rücken hinunter, ehe sich die kalten
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