Seelenfeuer
Sinne. Während ihn der schwarze Abgrund, der sich vor ihm auftat, mit kalten Armen unaufhaltsam in die Tiefe zog, tauchten ihn die wärmenden Sonnenstrahlen in ein gleißendes Licht. Grumper glaubte in ihnen etwas Göttliches zu erkennen, doch es vermochte weder sein kaltes Herz zu berühren, noch spendete es seiner Seele Trost.
»Schnell! Alles muss in die Reisetruhe!«, herrschte Heinrich Kramer Grete an. »Ist der Wagen schon bestellt?«
Die Muntzin nickte ergeben. »Er steht bereits vor der Tür«, sagte Grete und knickste, ehe sie die schwere Truhe schloss.
Seit man vor nicht einmal zwei Stunden seinen Notar tot
aufgefunden hatte, verbreitete sich das Gerücht, Grumper sei einem Mord zum Opfer gefallen, wie ein Lauffeuer. Einige wollten gar gehört haben, dass er der Nächste sei. Darüber hinaus schien die ganze Stadt an der Pest zu sterben. Zumindest kam es Institoris so vor.
Bedeutender, als dem Verbrennen der Gassnerin beizuwohnen, war seine Mission. Die Hexe brannte in ein paar Stunden auch ohne ihn, dafür hatte er gesorgt.
In seinen Unterlagen befanden sich in ihrer Rohfassung, die ersten Kapitel des Hexenhammers. Weitere würden folgen. Dann brauchte er Zeit für die Überarbeitung und die Reinschrift. Er hatte nicht all diese Mühen auf sich genommen, um nun sein Dasein zu beenden, bevor sein Lebenswerk abgeschlossen war und endlich Verbreitung fand.
Während Heinrich Kramer kurze Zeit später eilends die Stadt verließ, bekreuzigte sich der Totengräber. Raben hatten dem Leichnam des Kaplans bereits die Augen ausgehackt.
Luzia blinzelte in die hellen Sonnenpunkte, die das Licht zwischen Ästen und all den bunten Blättern hindurch auf die Erde sandte. Das Dach der gewaltigen Eiche, unter der sie rasteten, behütete sie wie die schützende Hand der großen Erdenmutter. »Wo sollen wir jetzt nur hin?«, fragte Luzia zögernd.
»Wolltest du nicht schon immer das Meer sehen?«, sagte Johannes sanft und streichelte ihre Wange. Luzia nickte und schloss die Augen. »Dann fahren wir in den Süden Frankreichs. Dort habe ich Freunde, die sich sicher über unseren Besuch freuen.«
Luzia lag in eine dicke Decke gehüllt in Johannes’ Armen
und genoss die Wärme und die Kraft, die er ihr schenkte. Noch war sie sehr schwach, und die betäubende Wirkung der starken Medizin lähmte noch immer ein wenig ihre Glieder, aber ihr Herz lief über vor Glück, und ihre Seele hatte wieder Flügel bekommen.
Sie wusste immer noch nicht genau, was eigentlich alles passiert war. Johannes hatte ihr in dürren Worten das Wichtigste berichtet. Für alles andere sei später Zeit, hatte er sie vertröstet. Aber dass ihr Onkel Basilius tot war, hatte er ihr erzählen müssen, als Luzia nach ihm gefragt hatte. Sein Tod überschattete ihr zartes Glück. Luzia wusste, sie musste noch viele Tränen weinen, ehe sich Trauer und Schmerz in ihrer Brust besänftigen ließen. Sie hatten alles zurücklassen müssen, und ihre Reise würde noch Tage, wenn nicht Wochen in Anspruch nehmen.
»Ich werde dich immer lieben. In jeder Stunde meines Lebens. Und so wahr mir Gott helfe, verspreche ich dir, dass dir nie wieder jemand wehtut!«, sagte Johannes und küsste zärtlich die kupfernen Stoppeln auf ihrem Kopf, bevor sich seine Lippen warm und weich auf ihren Mund senkten.
Luzia spürte seinen Herzschlag. Sie fühlte ihn durch sein Hemd, das dicke, rote Wams und durch den schwarzen Mantel hindurch. Endlos und ewig schlug sein Herz nur für sie.
Der feine Windhauch streichelte sie, ehe er mit einer verwegenen Haarsträhne spielte, die sich aus Johannes’ dunklem Lederband gelöst hatte.
»Und ich liebe dich für alle Zeiten und durch alle Leben, bis ans Ende aller Tage«, sagte sie.
1. Auflage 2012
Copyright © 2012 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg www.hoca.de
Covergestaltung: katrinsteigenberger.de
Coverabbildung: GettyImages/DEA PICTURE LIBRARY
E-Book-Umsetzung: Jouve
ISBN 978-3-455-81049-3
Weitere Kostenlose Bücher