Seelenfeuer
diesen Fluch über ihn gesprochen hatte, fror er bei Tag und in der Nacht. Grete heizte zwar den Ofen und hatte ihm bereits sein wollenes Nachthemd herausgesucht, doch all das war nicht einmal der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein.
»Letzte Nacht hat mich die Hexe in der Gestalt eines Raben heimgesucht. Die Nacht davor war es eine schwarze Katze. Sie wartet, bis ich mich zur Ruhe begeben habe, dann erscheint sie mir in ihrer ganzen, verfluchten Weiblichkeit. Nacht für Nacht locken mich ihre nackten Brüste wie die Äpfel vom Baum der Erkenntnis. Das rote Hexenhaar wallt ihr wie lebende Feuerschlangen um den Kopf, während mich ihre Augen jede Nacht ein wenig tiefer in die eisblauen Fluten reißen. Die ganze Nacht quält sie mich und erst mit dem Morgengrauen verschwindet sie in Gestalt eines Tieres.« Grumper hatte nicht bemerkt, dass seine Stimme stetig angeschwollen war.
Kramer hatte atemlos zugehört. »Beruhigt Euch und trinkt einen Schluck Wein. Die Hexe kann Euch nichts anhaben, jedenfalls nicht, solange Ihr geweihtes Salz mit Euch führt. Streut heute zur Nacht einen Ring aus Salz um Euer Bett. Die Hexe kann diesen Bannkreis nicht durchbrechen und Ihr bekommt wieder etwas Schlaf.«
»Was glaubt Ihr, was ich die letzten Nächte bereits getan habe? Dazu brennen von Sonnenuntergang bis zur Dämmerung am Morgen mehrere gesegnete Altarkerzen. Ich wasche mich nur noch mit geweihtem Wasser und schlafe mit einem
Silberkreuz auf der Brust. Doch die Hexe sucht mich jede Nacht aufs Neue heim. Mittlerweile ist es mir, als rieche ich sie überall.« Grumper hob den Kopf und witterte. »Riecht Ihr es nicht? Nicht nur Kleidung und Bettstatt sind durchtränkt von ihrer hitzigen Schwüle, selbst auf der kleinen Kniebank vor meinem privaten Altar in der Schlafkammer finde ich keine Ruhe mehr. Nicht einmal in der Kirche bleibt sie mir fern. Wenn das so weitergeht, treibt mich diese Hexe in den Wahnsinn! Bei Gott, ich hätte gut daran getan, sie als Kind zu töten. Ich habe schon immer gewusst, dass von dieser roten Schlange eine besondere Gefahr ausgeht.«
Kramer nickte.
»Betet zum heiligen Michael und übt Euch noch drei Tage in Geduld, dann erfährt ihre schwarze Seele durch die reinigenden Flammen Läuterung, und Ihr seid wieder ein freier Mann.«
Luzia lag in der Dunkelheit ihres Verlieses und kämpfte gegen die Verzweiflung, die ihr Herz marterte. Ihr Leib bestand aus Schmerz, Entbehrung und blutverkrusteten Wunden, von denen sich einige im Schmutz des Kerkers entzündet hatten. Die Schwäche zog sie immer wieder in einen schwarzen Schlund, in dem sie alles vergaß. Wenn es ihr möglich war, eine Weile wach zu bleiben, fragte sich Luzia, wozu sie so lange geleugnet hatte. Sie hatte all die geschickt formulierten Fragen, die ihr die Inquisitoren gestellt hatten, pariert. Sie hatte jeder Versuchung widerstanden, die Geständnisse und Geschichten, die ihr die beiden so geschickt in den Mund gelegt hatten, zu gestehen. Nicht ein einziges Mal war sie eingebrochen. Für Johannes’ Liebe hatte Luzia um ihr Leben gekämpft
und letztlich doch alles verloren. Kramers letzter perfider Schachzug hatte jeden Keim der Hoffnung in ihrem Herzen ausgelöscht.
Wenigstens hatte man sie, nachdem die Inquisition ihr Todesurteil unterschrieben hatte, nicht mehr gefoltert. Aber bald würde sie ihren letzten Gang auf den Marktplatz antreten. Dort würde sie Franziska und Brigitta bei lebendigem Leib in die Flammen folgen.
Luzia hoffte nur noch darauf, ein einziges Mal in Johannes’ Augen sehen zu dürfen. Noch einmal wollte sie seine Lippen berühren und seine warme Stimme hören. »Johannes, ich liebe dich! Ich werde dich immer lieben!«, flüsterte Luzia in die eisige Schwärze des Kerkers.
Sie dachte an diejenigen, die sie zurücklassen musste. An Basilius, der ihr im Lauf des vergangenen Jahres wie ein Vater ans Herz gewachsen war. Sie sann über die Menschen in Seefelden. Allen voran Elisabeth, Jakob und Pater Wendelin. Pater Wendelin! Wie sehr es ihre Seele trösten würde, wenn ihr ein letztes Gespräch mit ihm vergönnt wäre. Luzias Gedanken gehörten auch Nepomuk! Wie oft schon hatte sie ihre Tränen in seinem warmen Fell getrocknet?
Sie versuchte sich etwas aufzurichten, doch die Schmerzen in ihrem Körper und quälender Durst ließen sie zurücksinken. Sie versuchte sich zu erinnern, wann sie zum letzten Mal einen Wachmann im Kerker gesehen hatte. Ihr Gefühl sagte ihr, dass schon mehr als zwei Tage vergangen
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