Seelenfeuer
Bauern ihr Obst und Gemüse feil. Bäcker und Metzger priesen ihre Waren als die besten. Hühner gackerten um ihr Leben, die Tautropfen auf den grüngrauen Wirsingköpfen glänzten in der Sonne. Vom Rand des Platzes kam wildes Hundegebell. In einer Ecke des Marktes hörte man das Klopfen und Hämmern der Kesselschmiede und Scherenschleifer. Korbflechter hatten ihre Waren vor sich aufgebaut und boten ihr Können feil. Es herrschten Lärm und Gedränge, die für Luzia ungewohnt waren. In Seefelden hatte es solche Menschenmengen nicht gegeben, nicht einmal sonntags in der Kirche.
»Aber, das ist doch Luzia! Gott zum Gruße, kennst du mich nicht mehr?«
Luzia drehte sich herum und fand sich in den Armen einer kleinen, älteren Frau wieder. Liebevoll drückte sie sie an ihren vollen Busen, und Luzia spürte ihre Wiedersehensfreude wie wärmende Sonnenstrahlen um sich.
»Johanna! Sei gegrüßt. Wie ich mich freue. Wie geht es dir?« Luzia kannte die Frau des Baders bereits aus Kindertagen. Früher waren Johannas Tochter Marianne und sie Freundinnen gewesen.
»Du trittst also in die Fußstapfen deiner Mutter, Gott hab sie selig?«
Luzia nickte. »Ich werde mir alle Mühe geben, Ravensburg eine gute Hebamme zu sein.«
Johanna sah sich vorsichtig nach Mithörern um, dann wisperte sie: »Versprich mir, dass du dich vor der alten Grete in Acht nimmst. Seit deine Mutter nicht mehr lebt, sieht sie sich als Hebamme der Stadt. Jetzt fürchtet sie sicher um ihre Arbeit, deshalb nehme ich nicht an, dass Grete Muntz sich besonders freut, dass du zurückgekommen bist.«
Schon wieder diese Grete, dachte Luzia. »Dann ist diese Frau also ebenfalls als Wehmutter tätig?«
Johanna schüttelte den Kopf. »Nein, sie hat den Beruf nie erlernt, aber sie geht schon seit vielen Jahren in die Häuser der Frauen. Nebenbei richtet sie unserem Kaplan Grumper den Haushalt.«
Luzia zuckte zusammen. Seit sie ihren Fuß wieder in diese Stadt gesetzt hatte, verfolgte sie Grumper, wenn auch nur mit seinem Namen.
»Manche glauben sogar, der Kaplan schickt sie in die Häuser, damit ihm ja nichts entgeht und er immer weiß, was in der Stadt geschieht. Du musst wissen, für Grumper gibt es den Beistand Gottes im Gebet, alles andere verteufelt er als lasterhafte Sünde. Er droht den Frauen sogar mit ewiger Verdammnis, sollten sie gegen den Willen der heiligen Kirche handeln, und Grete achtet peinlich genau auf die Einhaltung der kirchlichen Verbote.«
Urplötzlich hatte Luzia das Gefühl, als würde der Boden unter ihren Füßen wanken. Und wieder schwoll das gefährliche Flüstern, das Zischeln aus ihrer Vergangenheit, in ihrem Kopf an. Diesmal vernahm sie noch eine weitere Stimme, die ihr wie ein glühendes Schwert durch die Eingeweide
fuhr. Luzia fühlte Todesangst, und schlagartig wusste sie, dass sie im Begriff war, Stimmen aus der Zukunft zu hören. Quälend und eiskalt verlangten sie nach Antworten. Etwas abgrundtief Böses fraß sich durch ihren Leib, bis es schließlich ihre ungeschützte Seele erreichte. Sie spürte, dass sie dem niemals würde entrinnen können. Als am Rand ihres Blickfeldes leckende Flammen auftauchten, wich der Albtraum wieder.
Luzia legte den Handrücken über die Augen und holte einmal tief Luft. Dann war sie wieder in der Gegenwart. Wie lange war sie in jener anderen Welt gewesen? Lange konnte es nicht gewesen sein, denn Johanna hatte nichts bemerkt und sprach zu ihr, als sei nichts gewesen.
»… Grete kam erst vor wenigen Jahren nach Ravensburg. Anfangs wohnte sie als Pfahlbürgerin außerhalb der Stadt.«
Luzia vernahm Johannas leise Stimme noch immer wie durch einen Nebelschleier.
»Sie kam morgens zur Öffnung der Tore und half tagsüber im Seelhaus bei der Zubereitung der Mahlzeiten für die Pilger. Vor Sonnenuntergang musste sie wieder verschwinden. Damals hatte sie keinerlei Rechte. Erst als Kaplan Grumper auf ihre gottesfürchtige Jungfräulichkeit aufmerksam wurde, erwirkte er für sie das Bürgerrecht und nahm sie bei sich auf. Kurze Zeit später begann Grete, in die Häuser zu gehen.«
Luzia atmete tief durch. Langsam verschwand das unangenehme Schwindelgefühl. »Mit welcher Begründung?«, wollte sie wissen.
Johanna hob ihre Schultern.
»Genau weiß das wohl keiner, aber Grumper sagte ihr schon
bald eine besondere Verbindung zur Muttergottes nach, und du weißt ja selbst, dass die Frauen in ihren schwersten Stunden gern auf die Schmerzensmutter vertrauen.«
Luzia nickte. Natürlich wusste sie
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