Seelenfeuer
das. »Göttlicher Beistand kann nie schaden. Aber durch das Beten allein kommt es selten zu einem guten Ende. Jetzt verstehe ich auch, was Doktor Sauerwein vor einigen Tagen meinte. Er erwähnte die hohe Sterblichkeit der Frauen und Kinder.«
»Da hat er wahrlich nicht übertrieben«, entgegnete Johanna traurig und raffte ihr Schultertuch vor der Brust zusammen.
»Aber bis vor wenigen Wochen gab es doch auch noch meine Mutter, sie hat den Beruf der Hebamme erlernt.«
Johannas Blick verhieß nichts Gutes, dann sagte sie: »Deine Mutter machte sich ungern ihre schönen Hände schmutzig, da kam ihr Gretes Art der Geburtshilfe gerade recht. Sie selbst hat auch gern auf die Gnade des Allmächtigen verwiesen.«
Luzia nickte, sie erinnerte sich noch gut an die Ansichten ihrer Mutter. Dass sie sich allerdings so weit von ihrem Weg entfernt hatte, erschreckte Luzia.
»Grete betet für das Seelenheil von Mutter und Kind, ansonsten behindert sie die Nachbarsfrauen eher. Doch niemand wagt der Muntzin zu widersprechen. Sie trägt ja alles zum Kaplan. Dabei schimpft sie jeden förderlichen Handgriff eine schwere Sünde. Allein wenn die Nabelschnur nicht mit einem geweihten Messer durchtrennt wird, meldet sie das dem Herrn Kaplan. An irgendeine Arznei, die gar den Schmerz lindert, darfst du erst gar nicht denken!«
Luzia war entsetzt. Wie oft hatte der Einsatz von Bilsenkraut oder Mutterkorn Leben gerettet!
»Über diese alte Vettel könnte ich dir noch einige Geschichten erzählen, bei denen dir das Blut in den Adern gefriert, aber ich muss jetzt weiter«, sagte Johanna mit einem Blick auf den Sonnenstand. »Möchtest du uns die nächsten Tage nicht einmal besuchen? Rochus und Nanne würden sich sehr freuen.«
Nachdenklich setzte Luzia ihren Einkauf fort. Sie dachte an diese alte Frau, diese Grete. Eine Begegnung mit ihr würde sich nicht vermeiden lassen, spätestens wenn man sie zu ihrer ersten Niederkunft rufen ließ. Und dann würde es darauf ankommen, wer von ihnen beiden sich durchsetzen würde. »Und jetzt genug damit«, schalt sie sich selbst. Sie hatte bisher weder Gemüse noch Äpfel, noch frisches Brot gekauft, von dem sie wusste, wie gern es der Onkel mochte. Und einen Topf Honig brauchte sie auch noch …
Die Gemüsehändler standen vor dem stattlichen Lederhaus, in dem Gerber, Schuhmacher und Sattler ihre Waren verkauften. Die hölzernen Flügeltüren waren weit geöffnet und luden die Kaufwilligen ein.
Der Marktplatz hatte sich mittlerweile gefüllt. Vor jedem Stand drängten sich Frauen und Männer und feilschten mit den Händlern um den besten Preis. Viele Frauen grüßten Luzia, und den anderen schenkte sie wenigstens ein freundliches Lächeln. Ganz zu ihrer Freude sah sie genügend Frauen, die ein Kind unter dem Herzen trugen. Ihren wohlgerundeten Bäuchen nach würde bis zur Niederkunft nicht mehr allzu viel Zeit vergehen. Hoffentlich lassen sie dann nach mir rufen, überlegte Luzia.
Sie warf einen prüfenden Blick in ihren Korb, dann machte
sie sich auf den Heimweg. Am Anfang der Marktstraße erreichte sie der Duft frischgebackenen Brotes. Für einen Augenblick schloss Luzia ihre Augen und überlegte: der Duft von Buchenholzfeuer mit einem Hauch Honig, einer Winzigkeit Kümmel sowie einer Spur Koriander und Anis. Das alles in der Himmelsröte des herannahenden Tages gebacken – so würde sie vielleicht jemandem das einzigartige Aroma frischgebackenen Brotes beschreiben. Mit großen Schritten eilte sie zur Brotlaube, einem Tordurchgang, der die Marktstraße fast gegenüber der Marienapotheke mit der Herrengasse verband. Dort lagen in großen Weidenkörben die warmen haselnussbraunen Laibe. Luzia kaufte zwei runde Einpfünder mit knuspriger Rinde.
Auch an diesem Stand spürte Luzia die neugierigen Blicke der Leute auf sich.
»Das ist die neue Hebamme«, flüsterte jemand in der Schlange hinter ihr.
Als sie bezahlt hatte, hörte Luzia, wie der Brothändler zu seiner Frau sagte: »Hübsch ist sie ja, aber sie sollte ihr rotes Haar verbergen.«
Eilig strich Luzia sich ein paar lose Strähnen unter die Haube und setzte ihren Weg fort. Ganz am Schluss kaufte sie bei einem dürren, alten Weiblein ein Pfund gedörrte Zwetschgen. Ihr süßer Duft lockte selbst jetzt noch Wespen an.
»Seid Ihr neu in der Stadt?«, wollte die Obstfrau wissen.
Luzia nickte und antwortete: »Ich bin Luzia Gassner, die neue Hebamme.«
»Dann nehmt von diesen Birnen, sie sind besonders saftig und halten sich noch
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