Seelenfeuer
bis Weihnachten im Keller.« Dabei schob sie Luzia eine kleine, gelbe Frucht in die Hand. »Kostet
sie, ich will sie Euch schenken.« Das leicht körnige, süße Fruchtfleisch schmiegte sich an ihren Gaumen und entlockte ihr ein zufriedenes Lächeln. Luzia nickte anerkennend und kaufte bereitwillig einige der reifen Früchte.
Am Abend saß sie mit ihrem Onkel vor dem wärmenden Kaminfeuer in der Stube.
»Und«, fragte er. »Wie war dein erster Markttag in Ravensburg?«
»Aufschlussreich«, antwortete Luzia eifrig. »Und ich habe einige Leute von früher wiedergetroffen.« Dass sie auch unangenehme Begegnungen gehabt hatte, erwähnte sie nicht. Ebenso wenig hatte sie von dem Streit mit dem Medicus Sauerwein einige Tage zuvor berichtet.
»Die Leute reden über dich«, sagte Basilius mit einem feinen Lächeln. »Du hast einige von ihnen aufgeschreckt und ihre Welt durcheinandergebracht.«
»Du meinst Grete?«, fragte Luzia schnell.
Das Lächeln auf dem Gesicht des Onkels verschwand und machte einer Sorgenfalte auf der Stirn Platz. »Was hast du über sie gehört?«
»Dass einige in der Stadt große Stücke auf sie halten und dass sie das Pfarrhaus bestellt.«
»Sie wird versuchen, dir das Leben schwerzumachen.«
Luzia nickte. »Solche gibt es immer und wird es immer geben«, sagte sie mutiger, als sie sich fühlte.
»Grete darfst du aber nicht unterschätzen«, entgegnete ihr Onkel und in seiner Stimme lag eine dunkle Warnung, die Luzia Angst machte.
Dann erzählte er von einer Geburt, bei der die junge Apollonia
Häberlin ein Kind mit sechs Fingern an jeder Hand geboren hatte.
»Ja, das kommt schon einmal vor. Wenn die überzähligen Fingerchen gleich nach der Geburt stramm abgebunden werden, fallen sie nach ein paar Wochen, ähnlich wie der Nabel, von ganz alleine ab«, sagte Luzia leise.
»Apollonia wusste das nicht, und ihr Entsetzen über die Hexenfinger war groß. Also band sie dem Kind einen kleinen Blutstein ums Handgelenk, um das Unheil abzuwenden. Zwei Tage später war ihr Kind tot. Grete behauptete daraufhin, Apollonia habe ihr eigenes Kind getötet. Es gab eine Anhörung und Kaplan Grumper trat als Notar auf. Das Blutgericht beauftragte Grumper damit, mögliche Verbindungen Apollonias mit dem Bösen zu entlarven.«
»Wieso ausgerechnet Kaplan Grumper?«, wollte Luzia wissen.
Basilius sah sie lange an, bevor er antwortete.
»Grumper soll bereits vor einigen Jahren zusammen mit einem hohen Würdenträger des Dominikanerkonvents zu Schlettstadt eine Frau des Kindsmords überführt haben. Der Unbekannten aus Waldshut wurde ein Pakt mit dem Teufel vorgeworfen. Sie wurde hingerichtet. Ich will dir die Einzelheiten ersparen, jedenfalls wurde dank Gretes Aussage und Grumpers Dafürhalten auch Apollonia vom Gericht für schuldig befunden und draußen beim Galgenbühl gehängt.«
Luzia starrte ihn voller Entsetzen an. »Das Gericht hat sie wegen Kindsmord zum Tode verurteilt? Und das nur, weil sie ihrem Kind einen Blutstein ums Handgelenk gewunden hatte?«
Basilius seufzte tief. »Ich will dich nicht beunruhigen, aber vor Grete solltest du dich in Acht nehmen. Die Alte kann dir sehr gefährlich werden!«
Ohne ein weiteres Wort stand Luzia auf und trat näher ans Feuer. Ihr war plötzlich kühl, und das nicht nur, weil es bereits später Abend war.
6
J ungfer Luzia, hört Ihr mich denn nicht? So macht doch die Tür auf! Meine Marie bekommt ihr Kind!«
Alois Weber klopfte wie wild gegen die dicke Eichentür, die unter seinen harten Schlägen bereits knirschte. Wie zähfließender Honig kam ihm die Zeit vor. Seine Frau hatte bereits zwei Kinder verloren, unter deren Geburt sie selbst nur um Haaresbreite dem Tod entgangen war. Laut Grete, die beide Male dabei war, hatten sie selbst Schuld am Tod der Kinder. Es stimmte schon, oft lagen sie auch an Fastentagen beieinander. In dieser Zeit gebot die Kirche, sich nicht nur beim Genuss von Fleisch und Speck zurückzuhalten, auch die Fleischeslust wurde als schwere Sünde verstanden. Deshalb versprach sich Alois nicht allzu viel davon, die neue Hebamme dabeizuhaben, aber Marie hatte darauf bestanden, die Gassnerin zu rufen. »Sie ist eine gute Frau und ich habe das Gefühl, sie kann uns helfen. Ihr Aussehen tut nichts zur Sache«, waren Maries Worte, als er auf das Äußere der Gassnerin anspielte. In seiner Vorstellung hatte eine Wehmutter anders auszusehen. Hässlicher, älter, aber allem voran ohne diese rote Feuermähne auf dem Kopf. Wie sollte
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