Seelenfeuer
ausgerechnet
diese Feuerbraut ihnen zu einem lebenden Kind verhelfen? Aber er hatte Marie diesen Wunsch nicht abschlagen wollen.
Endlich wurde die Tür geöffnet! Vor dem Weber stand Luzia, in eine Decke gehüllt. Sie hatte sich bereits zu Bett begeben, aber das war Alois Weber egal.
»Gott zum Gruße, Jungfer Gassner. Kommt schnell, das Kind will auf die Welt kommen!«
Obwohl Luzia an nächtliche Besucher gewöhnt war, rauschte ihr vor Aufregung das Blut in den Ohren. Heute Nacht war es also so weit, endlich durfte sie ihr Können unter Beweis stellen. Marie Weber war eine patente, junge Frau, die sie bereits vor wenigen Tagen aufgesucht hatte, um sich vorzustellen.
»Ist Eure Frau allein?«
Ganz aus der Nähe kam der Ruf einer Eule, und der volle Mond verschwand hinter einer dunklen Wolke.
Alois schüttelte vorsichtig den Kopf. »Die Mutter ist bei ihr.«
»Dann kommt herein. Ich muss mich erst anziehen.« Sie führte den verunsicherten Mann in die Küche des Hauses. Im gemauerten Herd glomm der Rest eines Feuers.
Während Alois neben der Feuerstelle wartete, knetete er seine verbeulte Mütze durch die Hände und starrte in die rote Glut.
Als die junge Wehmutter zurückkam, verfolgte er aufmerksam, wie sie eine Handvoll getrocknete Wacholderbeeren in die Glut warf. Perchta betrachtete ihr Opfer mit Wohlwollen, denn es zischte, und das Feuer erwachte zu neuem Leben. Würziger Duft erfüllte die Küche, und Alois glaubte Luzias Haar in Flammen zu sehen. Wenige Augenblicke später
standen sie bereits vor der Tür. Er hatte seinen Karren mitgebracht und der Braune zog sie wie der Wind durch das nächtliche Ravensburg.
Vom Blaserturm ertönten die Trompeten zur ersten Stunde. Der Mond zog unbeirrt seine nächtliche Bahn und übergoss die Welt mit seinem Silberlicht. Erst in den frühen Morgenstunden würde er Ravensburg ganz der Dunkelheit überlassen. Doch bis dahin würden noch einige Stunden vergehen. Stunden, die für alle Zeiten Luzias Leben hier in Ravensburg bestimmen würden – heute Nacht würde ihr Wissen geprüft werden. Ein wenig bang fühlte sie sich schon, schließlich war sie auf dem Weg zu ihrer ersten Geburt in der Stadt.
Die gurgelnden Geräusche des Gerberbachs erfüllten die Nacht. Luzia war, als würde der Bach, in dem Gerber, Färber und die Metzger ihre Abfälle entsorgten, in der Nacht noch weitaus schlimmer stinken, als es am Tag der Fall war. In der Manggasse betrieben Alois und sein Vater das Handwerk der Manger. Das Glätten und Veredeln der Leinenstoffe und schweren Wolltuche verlangte tagein, tagaus schwerste körperliche Arbeit. Die so verarbeiteten Stoffe genossen überall hohes Ansehen. Selbst den flandrischen Tuchen standen die der Ravensburger in nichts nach. Doch der Dunst aus faulenden Abfällen und zahlreichen Sickergruben hing wie eine Glocke über der Straße und über der Stadt.
Alois Weber schwieg während der gesamten Fahrt, erst kurz bevor sie in die Manggasse einbogen, fragte er leise:
»Glaubt Ihr, Gott hat diesmal ein Einsehen mit meiner Marie?«
»Das weiß ich nicht, aber ich verspreche Euch, alles zu tun, was in meiner Macht steht.«
Für einen Augenblick glaubte Alois eine alte Frau vor sich zu sehen. Einzig ihr flammendes Haar sagte ihm, dass es Luzia Gassner war, die zu ihm gesprochen hatte.
»Gott zum Gruße. Ihr seid also die neue Hebamme«, begrüßte sie die Altmutter. Gertrude Weber, eine sehnige, ältere Frau mit grauem Haar und freundlichen Augen, führte Luzia die schmale Stiege hinauf. Im ganzen Haus war es dunkel, einzig das Talglicht in Gertrudes Händen spendete ein wenig Licht. Schatten begleiteten Luzia die Stufen hinauf. Sie beachtete sie nicht.
In der Kammer brannten einige Talglichter und sogar eine echte Wachskerze. Die Gebärende lag im hinteren Bereich der großen Kammer auf einem einfachen Bett. Alle Fenster waren sorgfältig verschlossen und die Luft stickig und abgestanden. Weiter vorn, neben der Tür, standen einige Stühle und ein großer runder Tisch, auf dem ein paar saubere Leinen lagen. Eine ältere Frau, die sich Luzia als Annelie, die Frau des Küfers, vorgestellt hatte, brachte ein Weihwasserbecken und noch mehr Kerzen.
»Wir sollten auf Grete warten, sie kommt etwas später«, sagte Annelie, als Luzia Marie den Schweiß von der Stirn tupfte.
»Nein, das tun wir nicht«, entgegnete Luzia knapp und beugte sich wieder über Marie.
»Das dürft Ihr nicht sagen«, murmelte die Küferin ängstlich und
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