Seelengesaenge
hängen. »Nein«, gestand er leise.
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11. Kapitel
Das stark bewaldete Tal war so wild und schön, wie es nur in einem uralten Habitat der Fall sein konnte. Syrinx wanderte in den Wald hinein, der sich gleich an den Rand von Edens einziger Stadt anschloß. Sie war überrascht, wie viele Bäume aus den frühen Tagen des Habitats überlebt hatten. Ihre Stämme waren mächtig und geneigt, doch sie lebten noch immer. Weise, uralte Baumriesen, die bereits vor Jahrhunderten jedes Konzept von einer diskreten Ordnung abgestreift und sich jeder Hege und Pflege entzogen hatten, bis das Habitat es gar nicht mehr versuchte.
Syrinx konnte sich nicht erinnern, jemals glücklicher gewesen zu sein – obwohl das üppige Grün ringsum nur einer der Faktoren war, die zu diesem Gefühl beitrugen.
»Trennung schafft Vorfreude«, hatte Aulie mit einem schelmischen Lächeln zu ihr gesagt, als er sie nach dem Mittagessen zum Abschied geküßt hatte. Wahrscheinlich hatte er recht – sein Verständnis von emotionalen Dingen war genauso umfangreich wie sein sexuelles Wissen. Das war es, was ihn zu einem so fabelhaften Liebhaber machte und ihm eine umfassende Kontrolle über all ihre Reaktionen verschaffte.
Und er hatte recht behalten, wie Syrinx sehnsüchtig feststellen mußte. Sie waren erst seit neunzig Minuten getrennt, und jetzt schon vermißte ihr Körper den seinen. Allein der Gedanke an das, was sie in der Nacht mit ihm anstellen würde, sobald sie ihn für sich alleine hatte, sandte Schauer ihren Rücken hinab.
Ihr Urlaubsbesuch in Eden war Gesprächsthema Nummer eins bei all ihren Freunden und Bekannten und in ihrer Familie. Syrinx genoß diese Vorstellung über ihre Affäre mit Aulie mindestens ebensosehr wie die physische Seite. Aulie war vierundvierzig, siebenundzwanzig Jahre älter als sie. Sie lebte in einer Kultur, die zu egalitär und zu liberal war, um schockiert zu reagieren, und bisher hatte sie ihre Beziehung zu Aulie immer nur genossen.
Nur hin und wieder wurde der Altersunterschied deutlich. Wie an diesem Nachmittag zum Beispiel. Aulie wollte unbedingt eine der Kavernen in der Abschlußkappe des Habitats besichtigen, die voll war mit kybernetischen Maschinen des einundzwanzigsten Jahrhunderts, noch immer voll funktionsfähig und in einem Museum zusammengetragen. Syrinx hatte Mühe, sich etwas Langweiligeres vorzustellen. Da waren sie nun im ersten Habitat, das jemals gezüchtet worden war, im Zentrum der edenitischen Kultur, und er hatte nichts anderes im Sinn als antike Maschinen?
Also hatten sie sich getrennt. Er war zu seinen Dampfmaschinen aufgebrochen, und sie war zurückgeblieben, um das Innere des Habitats zu erforschen. Eden war viel kleiner als die anderen Habitate, ein Zylinder von gerade elf Kilometern Länge und drei Kilometern Durchmesser. Ein Prototyp, das war es. Es gab keine Sternenkratzer; die Bewohner lebten alle in einer einzigen kleinen Stadt, die sich um die nördliche Abschlußkappe zog. Weitere Überreste einer lange vergangenen Zeit: einfache, schnell zu errichtende Bungalows aus Metall und Komposit, kunstvoll erhalten von ihren derzeitigen Bewohnern. Jedes der Häuser besaß einen winzigen Garten mit antiken reinrassigen Pflanzen von der Erde. Die Vegetation mochte vielleicht nicht so beeindruckend und farbenprächtig sein wie in den moderneren Nachfahren Edens, doch die Umgebung machte sie zu einer Augenweide. Lebende Geschichte.
Syrinx bahnte sich einen Weg über Wildpfade, wich knorrigen Wurzeln aus, die sich in Knöchelhöhe umeinander wanden, und duckte sich unter langen herabhängenden Ranken hindurch. Moos und Pilze hatten jeden Quadratzentimeter Rinde überwuchert und jeden Baum zu einem eigenen Ökosystem gemacht. Es war heiß zwischen den Stämmen, und die reglose Luft war stickig feucht. Syrinx’ Kleidung, bestehend aus einem kurzem Rock und einem engem Top, hatte einzig und allein ihre erwachsene Figur betonen sollen, zu Aulies Freude, doch hier im Wald war sie vollkommen fehl am Platz. Das feuchte Gewebe behinderte sie bei jedem Schritt. Ihre Frisur war bereits nach wenigen Minuten hinüber, und durchnäßte Strähnen hingen schlaff über ihre Schultern herab. Grüne und braune Flecken übersäten ihre Arme und Beine wie eine Kriegsbemalung der Natur.
Trotz aller Unbequemlichkeiten ging Syrinx weiter. Das Gefühl von Erwartung steigerte sich von Minute zu Minute, und es hatte überhaupt nichts mehr mit Aulie zu tun. Dieses Gefühl hier hatte weit mehr Ambivalenz;
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