Seelengift
irgendetwas! Selbst wenn Frau Ostmann damals diesen Akkordeonspieler mit dem albernen Spitznamen getroffen haben sollte - ich sagte: wenn ! -, dann gibt es noch immer keinerlei Beweis dafür, dass dieser Mann irgendetwas mit dem Mord an Irmgard Gruber zu tun hat. Wie kommen Sie überhaupt darauf, dass das ein und derselbe Mann sein sollte? Wegen eines liegen gelassenen Morgenmantels?« Sie schüttelte den Kopf. »Und dann eine Spielzeuglokomotive in einem fremden Garten! Ich bitte Sie! Ihr Eifer in allen Ehren, aber Sie haben sich da gründlich verrannt, das müssen Sie doch selber einsehen. Lassen Sie es gut sein.« Die Kommissarin hatte jetzt den Tonfall gewechselt. Sie war nicht mehr arrogant und von oben herab, sondern sprach mit Clara wie mit einer schwachsinnigen Halbidiotin, offenbar in der Hoffnung, sie so schneller loszuwerden.
Clara blieb äußerlich ruhig, obwohl sie innerlich kochte. »Und der anonyme Brief, den ich bekommen habe? Wollen Sie den auch einfach so ignorieren?«
Sabine Sommer warf einen flüchtigen Blick auf die beiden Todesanzeigen in der Klarsichthülle vor ihr. »Da hat sich einer einen dummen Scherz erlaubt.«
»Und wenn nicht? Wenn es tatsächlich eine Drohung des Mörders ist?«, fragte Clara scharf.
Die Kommissarin Sommer verzog ihren Mund zu einem spöttischen Lächeln. »Ach, und der Mörder hat nichts Besseres zu tun, als ausgerechnet Ihnen einen Brief zu schreiben? Wie sollte er denn überhaupt auf Sie kommen?«
Clara zuckte die Achseln. »Aus der Zeitung? Es stand etwas über die Haftentlassung in der Zeitung und der Name meiner Kanzlei.«
»Und jetzt glauben Sie, dass Sie so wichtig sind? So gefährlich für den Mörder, dass er sich genötigt fühlt, Ihnen zu drohen?«
Clara verschlug es die Sprache. Es war nicht nur Ignoranz oder übertriebener Ehrgeiz, wie Clara anfangs geglaubt hatte. Es war persönlich. Sabine Sommer hegte ganz offensichtlich eine tiefe persönliche Abneigung gegen Gruber und auch gegen Clara. Letzteres hing wahrscheinlich mit dem Fall Imhofen zusammen. Gruber und Sommer waren sich damals absolut einig gewesen, was ihren Verdacht anbelangte. Zumindest anfangs. Im Laufe des Verfahrens hatte Gruber seine Meinung geändert, woran Claras Recherchen einen nicht unwesentlichen Anteil gehabt hatten. Und am Ende war er als Held dagestanden. Und jetzt war es wieder Clara, die sich einmischte, war sie es, die die Haftentlassung Grubers bewirkt hatte und damit ein schlechtes Licht auf Sabine Sommers Ermittlungsarbeit warf. Wahrscheinlich hatte sich Gruber in Bezug auf Sabine Sommer keinen Gefallen getan, als er ausgerechnet Clara als seine Verteidigerin beauftragte. Sie stand hier auf verlorenem Posten. Sie war ein rotes Tuch für die Frau ihr gegenüber, die jetzt erneut genervt auf die Uhr sah.
Clara versuchte, sich ihre Wut nicht anmerken zu lassen, und sagte nur: »Sie nehmen jetzt diese Beweisstücke in Verwahrung und meine Aussage zu Protokoll, ganz offiziell, mit Stempel und in dreifacher Ausfertigung. Vorher gehe ich nicht.«
Sie lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. »Im Gegensatz zu Ihnen habe ich genug Zeit, die ich mir ganz
allein und selbständig einteilen kann. Als Rechtsanwältin gehöre ich nämlich zu den Frei beruflern.«
Kommissarin Sommer war ein harter Knochen. Es verstrich fast eine geschlagene Minute, bis sie nachgab und ihren PC einschaltete. »Also gut, wenn es Ihnen Freude macht, dann nehmen wir Ihre Ermittlungsergebnisse eben auf.«
Als Clara eine halbe Stunde später das Polizeipräsidium verließ, war ihr Zorn noch immer nicht verraucht. Doch er wurde nahezu erdrückt von einer lähmenden, bleiernen Erschöpfung, die sie in dem Moment überkommen hatte, als sie sich von der blonden Kommissarin verabschiedet hatte. Es war nichts gewonnen mit dieser lächerlichen Protokollierung. Nichts. Es hatte alles nichts genützt. Die Polizei würde in dieser Richtung keinen Finger rühren.
Zum Abschied hatte ihr Sabine Sommer noch den entscheidenden Schlag verpasst. »Ich dürfte es Ihnen ja eigentlich nicht sagen«, begann sie, als Clara schon aufgestanden war, »aber ich konnte mir heute Nachmittag frei nehmen, weil unsere Ermittlungen im Fall Gruber abgeschlossen sind.«
Clara starrte sie an. »Was soll das heißen?«, fragte sie.
Kommissarin Sommer lächelte kühl. Sie hatte jetzt wieder Oberwasser. »Das heißt, dass wir Walter Gruber wieder verhaften werden. Er ist der einzige Tatverdächtige. Es haben sich
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