Seelengift
um Rückruf. Dabei fiel ihr ein, dass sie ihr Handy wieder einmal bei Mick vergessen hatte. Das war Pech, aber im Augenblick nicht zu ändern. Sie hatten sich zwar erst für morgen
Nachmittag wieder verabredet, aber sie konnte ja heute nach dem Besuch bei der Polizei noch kurz bei ihm vorbeischauen und es abholen. Sie zog sich ihren Mantel wieder an, und Elise erhob sich erwartungsvoll, doch Clara schüttelte den Kopf: »Nein, meine Liebe, ich kann dich jetzt nicht mitnehmen.« Es war sicher keine gute Idee, bei der Kommissarin Sommer mit ihrem riesigen Hund aufzutauchen. Elise ließ sich enttäuscht wieder zurück auf ihre Matratze plumpsen und sah Clara aus ihren blutunterlaufenen Augen vorwurfsvoll an. Clara streichelte sie. »Ich komme bald zurück, versprochen.«
Elise senkte den Kopf auf ihre großen Pfoten und schmollte. Sie hasste es, allein zu sein. Und einen richtigen Spaziergang hatte es heute auch noch nicht gegeben. Auch wenn sie nicht die Allersportlichste war, ein bisschen mehr Bewegung durfte es schon sein!
Clara strich ihr noch einmal über den Kopf, dann ging sie zur Tür. »Bis dann, Dicke.«
Elise hob nicht einmal den Kopf.
EINUNDZWANZIG
Kommissarin Sommer verschränkte die Arme vor der Brust und bedachte Clara mit einem abschätzigen Blick. »Was soll ich jetzt Ihrer Meinung nach damit anfangen?« Sie deutete mit einer wegwerfenden Handbewegung auf die Modelleisenbahn, die auf ihrem Schreibtisch lag.
Clara hatte der widerstrebenden Polizistin detailliert von ihren privaten Nachforschungen erzählt und noch einmal Punkt für Punkt die Indizien dafür aufgelistet, dass nicht Walter Gruber, sondern ein Mann namens Josef Gerlach alias Papa Joke Irmgard Grubers Mörder war.
Kommissarin Sommer hatte ihr schweigend zugehört, ohne sich jedoch Notizen zu machen oder sonst einen Hinweis darauf zu geben, dass die Sache sie in irgendeiner Weise interessieren könnte. Noch nicht einmal die anonyme Todesanzeige hatte ihr mehr als das flüchtige Heben einer Augenbraue entlocken können. Jetzt sah sie auf die Uhr. »Hören Sie, ich habe eigentlich heute frei und bin nur zufällig noch da, weil wir auf der Beerdigung waren. Wenn also nichts mehr anliegt …« Sie beugte sich vor und wollte aufstehen.
»Nichts mehr anliegt?« Clara sah sie fassungslos an. »Sie können doch jetzt nicht einfach nach Hause gehen.«
»O doch, ich kann.« Kommissarin Sommer lächelte freudlos. »Ich habe ein Überstundenkonto, das ist so lang, dass ich es schon jetzt nicht mehr abfeiern kann, bis ich in Rente gehe, und ich bin erst einunddreißig.«
»Gratuliere!«, gab Clara bissig zurück und rührte sich keinen Millimeter. Sie würde in diesem Stuhl sitzen bleiben.
Die Kommissarin sah sie einen Moment unschlüssig an, als spiele sie mit dem Gedanken, sie hinauszuwerfen, doch dann sank sie unwillig zurück auf ihren Stuhl. »Was wollen Sie überhaupt von mir?«
»Dass Sie Ihre Arbeit machen.«
Die Sommer lachte. »Ach! Sie denken, dass das, was Sie da zusammengetragen haben, etwas mit meiner Arbeit zu tun hat? Meine Liebe, Sie haben keine Ahnung von meiner Arbeit. Nur, weil Sie hier für Ihren Mandanten ein bisschen herumschnüffeln und sich wilde Storys ausdenken, soll ich mir auch noch meinen restlichen freien Tag um die Ohren schlagen?«
Sie schüttelte den Kopf.
Clara wurde rot vor Zorn. »Ich dachte eigentlich, Sie hätten ein Interesse daran, Irmgard Grubers Mörder zu finden«, entgegnete sie.
Kommissarin Sommer musterte sie kühl. »Ich habe den Täter bereits gefunden. Daran hat auch Ihre Intervention bei der Untersuchungsrichterin nichts geändert, außer dass sie uns eine Menge nutzloser Mehrarbeit eingebracht hat. Es tut mir leid, aber ich halte Walter Gruber nach wie vor für schuldig.«
»Aber Sie können die Hinweise auf einen anderen Täter doch nicht einfach ignorieren!«, wandte Clara ungläubig ein.
»Was für Hinweise sollen das denn sein? Eine Spielzeuglokomotive in irgendeinem Garten, der Inhaber eines Spielwarenladens und ein eigenbrötlerischer Akkordeonspieler, die - vielleicht - beide Josef heißen, wie ungewöhnlich! Haben Sie eine Ahnung, wie viele Männer es in München gibt, die auf den Namen Josef hören?«
»Kein Spielwarenladen«, wandte Clara zornig ein. »Es ist ein Geschäft für Modelleisenbahnen, und es ist eine solche Eisenbahn, die ich gefunden habe …«
Kommissarin Sommer winkte ab. »Von mir aus. Wo ist da der Unterschied? Das ist doch alles kein Beweis für
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