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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Sorgfältig verpackt in dunkelblaues Papier mit Flugzeugen darauf und mit einer grünen Schleife umwickelt. An der Seite hatte es einen Riss, und es war feucht und etwas schmutzig, aber nicht allzu sehr. Sicher lag es noch nicht
den ganzen Winter über hier. Clara erinnerte sich, dass es um Weihnachten herum wie üblich einige Tage heftig geregnet hatte. Wenn das Päckchen schon zu dem Zeitpunkt hier gelegen hätte, wäre es in einem erheblich schlechteren Zustand. Clara wog das Geschenk in der Hand: Es war schwerer, als es aussah. Sie sah sich um. Kein Mensch war zu sehen. Doch irgendetwas verbot ihr, es hier sofort zu öffnen. Es erschien ihr zu unsicher, zu ungeschützt, fast hatte sie Angst, jemand könnte es ihr wegnehmen, wenn sie es hier in diesem fremden Garten öffnete. Sie sah sich erneut um und schob es dann schnell in ihre Handtasche. Verstohlen verließ sie den Garten und wandte sich in Richtung Leopoldstraße, um die U-Bahn zu nehmen. Mittlerweile schneite es heftiger, und der Wind hatte nachgelassen. Clara tastete noch einmal nach dem Päckchen und überlegte, was für ein glücklicher Zufall es doch war, dass sie ausgerechnet heute hier vorbeigeschaut hatte. Wenn es so weiterschneite, würde der Garten morgen schneebedeckt sein, und sie hätte das Päckchen wahrscheinlich gar nicht bemerkt.
    Auf dem Weg von der U-Bahn zu ihrer Wohnung lief sie fast, die Tasche fest an sich gepresst. Zu Hause angekommen, bekam Elise einen flüchtigen Schmatz auf ihr rechtes Ohr, dann rannte Clara in die Küche und legte das blaue Päckchen auf den Tisch. Zuerst betrachtete sie es von allen Seiten. Die Motive auf dem teuer aussehenden Papier ließen auf ein Geschenk für ein Kind schließen. Es war sehr sorgfältig eingepackt, ohne Tesafilm, mit akkurat umgeknickten Falzen und mit einer grünen Stoffschleife umwickelt. Langsam packte sie es aus, legte die Schleife behutsam auf den Tisch, öffnete das feuchte Papier. Darin befand sich eine stabile Schachtel aus grauer Pappe. Sie drehte sie ein wenig hin und her, löste den Tesafilm, mit der sie zugeklebt war, und zog einen kalten,
überraschend schweren Gegenstand heraus. Es war eine Lokomotive. Clara betrachtete sie genauer. Eine leuchtend blau lackierte Dampflok, wunderschön detailgenau gearbeitet. Sie las die Bezeichnung auf der Verpackung: 69281 Dampflok BR 03.10 »Blaue Mauritius«.
    » Aha.« Clara stellte sie auf den Tisch und musterte sie ratlos. War das nun ein Hinweis oder nicht? Wer hatte das Päckchen dort verloren? Konnte es tatsächlich Irmgard Grubers Mörder gewesen sein, als er das Haus beobachtet hatte? Clara schüttelte zweifelnd den Kopf. Warum sollte er eine Lokomotive dabeihaben? Als Geschenk verpackt? Etwa für Irmgard Gruber? Sie musterte die blaue Lok unschlüssig. Elise kam an die offene Küchentür getapst und winselte leise. Als Clara den Kopf hob, wedelte sie mit dem Schwanz und lief in Richtung Wohnungstür.
    »Ja, ja, ich komme schon…« In Gedanken versunken schlüpfte Clara wieder in ihren Mantel, den sie achtlos über den Küchenstuhl geworfen hatte, und ging mit Elise zur Isar hinunter. Es schneite noch immer heftig, und Elise machte sich einen Spaß daraus, nach den Schneeflocken zu schnappen und imaginäre Monster anzubellen, die sich in heimtückischer Weise unter der noch dürftigen Schneedecke vergraben hatten und ihr nun auflauerten. Clara sah ihr abwesend zu. Ihre Gedanken kreisten um die blaue Lokomotive auf ihrem Küchentisch. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte sie sich und kniff die Augen zusammen, um sich gegen eine Windböe zu schützen. »Für wen war dieses Geschenk bestimmt? Ein Geschenk für ein Kind.«
    Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen und hob den Kopf in die wirbelnden Flocken. Dann schlug sie sich mit einer Hand auf die Stirn und rief laut: »Natürlich! Ich bin so eine Idiotin!« Hastig machte sie kehrt. Elise, die gerade voller
Eifer versucht hatte, ein Loch in die gefrorene Erde zu kratzen, hob ungläubig den Kopf und bellte, doch als Clara nicht reagierte, blieb ihr nichts anderes übrig, als das soeben begonnene Werk im Stich zu lassen und ihr zu folgen.
     
    Clara hatte schon Grubers Handynummer gewählt, als ihr bewusst wurde, dass er wahrscheinlich noch mit Freunden und Verwandten im Brunnenwirt war. Früher, als Teenager, hatte Clara den »Leichenschmaus« immer als eine besonders abartige Art der öffentlichen Zurschaustellung der Trauer angesehen und verächtlich den Kopf darüber

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