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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Schwarzarbeiter auf der Baustelle beschäftigt hatte. Die Gegner drehten einem das Wort im Mund herum, und jeder Versuch, es wieder geradezubiegen, machte die Sache noch schlimmer.
    Es war vollkommen egal, ob Grubers Verhalten nun nachvollziehbar gewesen war oder nicht. Es spielte auch keine Rolle mehr, was er genau gesagt und wie er es gemeint hatte. Entscheidend war, dass Kommissarin Sommers Aussage schwarz auf weiß in der Akte stand und der Eindruck, der daraus entstand, sich nicht mehr entkräften ließ. Jeder Erklärungsversuch würde wie das hilflose Uminterpretieren einer für den Tatverdächtigen negativen Tatsache aussehen. Clara fluchte ausgiebig. Hätte dieses dumme Weib nicht ihren Mund halten können? Was hatte sie nur dazu veranlasst, ihren Kollegen in einer solchen Situation noch tiefer reinzureiten? Doch einen positiven Effekt hatte das Ganze doch: Kommissarin Sommers Vernehmungsprotokoll hatte Clara so sehr in Rage gebracht, dass sich in ihr die Überzeugung, dass Gruber tatsächlich vollkommen unschuldig am Tod seiner Frau war, endlich durchzusetzen begann. Ob es nun ein reiner Trotzmechanismus war oder nicht, Clara entschied sich, daran zu glauben. Sie stellte ihre Wanderung durch die verwaisten Kanzleiräume ein und setzte sich zurück an ihren Schreibtisch.

    »Also angenommen, er war es nicht«, murmelte sie und zog einen Bogen Papier aus der Schublade, auf den sie oben in die Mitte schrieb: Gruber ist unschuldig. Sie zögerte einen Augenblick, dann malte sie ein kleines Fragezeichen hinter den Satz, starrte sekundenlang darauf und strich es wieder durch. »Mal angenommen, er war es nicht …«, wiederholte sie nachdenklich, »wer war es dann? Wie hat er es angestellt? Und warum wurde die Leiche wegtransportiert?«
    Da war sie wieder, die Frage, die sie seit ihrem Besuch bei Gruber heute Morgen beschäftigte. Es ergab einfach keinen Sinn, dass Gruber in einem Anfall geistiger Umnachtung seine Frau in den Englischen Garten gefahren haben sollte. Einerseits voller Panik, so unüberlegt, dass er vergaß, die Blutspuren im Flur und im Kofferraum zu beseitigen, andererseits aber geistesgegenwärtig genug, um im Gegensatz zur Wohnung im Auto keinen einzigen Fingerabdruck, keine einzige Spur von sich zu hinterlassen.
    »Was für ein Blödsinn.« Sie schlug die Akte noch einmal auf und las den Bericht der Spurensicherung: Keine Fingerabdrücke von Gruber im Auto und auf dem Autoschlüssel. Nur Fingerabdrücke von Irmgard Gruber selbst, sowie einige Haare von ihr auf der Kopfstütze auf der Fahrerseite des Wagens. Gruber hatte außerdem angegeben, dass seine Frau das Auto, einen roten VW Golf, erst nach der Trennung gekauft hatte und er es überhaupt noch nicht gesehen, geschweige denn gefahren hatte.
    Clara machte sich eine Notiz auf ihrem Papier. Langsam kristallisierte sich in ihrem Kopf eine Idee heraus, wie sie in einem Antrag auf Haftprüfung argumentieren könnte. Eine vage, unsichere Idee noch, aber immerhin. Schwer genug, in einem solchen Fall überhaupt einen vernünftigen Ansatzpunkt zu finden. Sie umkringelte noch einmal den ersten Satz
und setzte statt des Fragezeichens ein entschiedenes Ausrufezeichen: Gruber ist unschuldig! Das musste die Arbeitshypothese sein. Davon musste sie ausgehen. Jedenfalls fürs Erste. Sie schraubte ihren Füller zu und stand auf. Zeit für einen Spaziergang. Sie brauchte ein Bild in ihrem Kopf. Ohne ein Bild konnte sie nicht weiterdenken.
     
    Elise war nicht erfreut. Mürrisch und mit eingezogenem Schwanz trabte sie hinter Clara her. Was für eine Schweinekälte. Clara musste ihr insgeheim recht geben. Die Temperaturen machten jeden Aufenthalt im Freien, der länger als fünf Minuten dauerte, zur Qual. Sie hatte ihren Schal so fest um Mund und Nase gewickelt, wie es nur ging, ohne die Sauerstoffzufuhr zu gefährden, und ihre flaschengrüne Angorawollmütze mit Bommel, die sie unter Missachtung sämtlicher Eitelkeitsanwandlungen über ihre roten Locken gestülpt hatte, tief in die Stirn gezogen. Die Hände in den Manteltaschen vergraben, blieb sie an dem weißen Haus in der Biedersteiner Straße stehen, in dem Irmgard Gruber gewohnt hatte. Ein schmucker, kürzlich renovierter Altbau mit Fensterumrahmungen in elegantem Grau und klassizistisch anmutenden Simsen entlang der Fassade. Vier Fenster gab es im ersten Stock. Zwei davon mussten zu Irmgard Grubers Wohnung gehören, wie Clara nach einem Blick auf die symmetrisch angeordneten Namen neben den Klingeln

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