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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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vermutete: Erdgeschoss, erster Stock, zweiter Stock: je zwei Parteien pro Stockwerk und ganz oben noch ein einzelner Name.
    Claras Blick wanderte die Straße entlang. Es war sehr hübsch hier, ruhig gelegen und direkt am Englischen Garten. Am Haus floss der Schwabinger Bach vorbei, und dahinter, keine fünf Minuten zu Fuß, lag der Kleinhesseloher See mit dem schicken Biergarten direkt am Ufer. Clara konnte ihn
durch die kahlen Äste hindurch erahnen. Dort, bei den Biertischen ganz vorne, schien im Sommer die Sonne immer am längsten. Der Park lag schon längst im Schatten, da konnte man hier noch immer sein Gesicht in die Abendsonne halten, die Maß Bier in der Hand und alles andere ganz weit weg. Clara seufzte und trat von einem Fuß auf den anderen, um ihre kalten Zehen aufzuwärmen. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis die Biergartensaison begann.
    Ihr Blick wanderte zurück zu den Fenstern im ersten Stock. Sie versuchte sich vorzustellen, was letzten Freitag passiert war. Wer außer Gruber war noch hier gewesen? Und warum? War der Mord geplant, oder war es eine Affekttat? Clara sah sich um. Hatte hier jemand gewartet, bis Gruber gegangen war? Aber warum? Und woher konnte er wissen, dass Gruber bis fünf Uhr morgens bleiben würde? Nicht einmal Gruber selbst hatte das gewusst. Und es würde wohl kaum jemand bei zwanzig Grad unter null die ganze Nacht hier stehen und warten. Warum auch? Jeder andere Abend wäre besser geeignet gewesen, um bei Irmgard Gruber einzudringen, wenn es darum gegangen wäre.
    Clara schüttelte den Kopf. Nein. Das ergab schon wieder keinen Sinn. Wie man es drehte und wendete, man landete immer bei Gruber. Es musste einen Zusammenhang geben zwischen dem Mord und Grubers Anwesenheit. Es konnte gar nicht anders sein. Jetzt, da Clara hier am Tatort stand, tat sie sich zunehmend schwerer, ihre Arbeitshypothese von Grubers Unschuld aufrechtzuerhalten. Ihr fielen einfach keine Alternativen ein. Im Zweifel ist die naheliegendste Lösung immer die richtige . Woher hatte sie diesen Satz? Aus einem Fernsehkrimi? Sie konnte sich seiner Logik nicht entziehen. »Es ist doch egal«, versuchte sie ihre zunehmende Unruhe zu besänftigen. »Du bist seine Anwältin, du musst für ihn tun,
was du kannst.« Und das unabhängig davon, ob er es war oder nicht. Gerade für ihn, als einen Polizisten, der Verteidiger bisher nur als lästiges Übel im Bemühen, Verbrecher hinter Gitter zu bringen, angesehen hatte.
    Sie zog ihren Schal vom Gesicht und stopfte ihn sich unter das Kinn, um sich eine Zigarette anzuzünden. Es war natürlich nicht egal. Es war nie egal, und wer das Gegenteil behauptete, hatte keine Ahnung, oder er log. Was sie bei Strafverteidigungen am meisten hasste, war, wenn ihre Mandanten ihr nicht die Wahrheit sagten. Es fiel ihr viel leichter, jemanden mit voller Überzeugung zu verteidigen, wenn er sich ihr anvertraut hatte. Dann regte sich ihr Berufsethos-Gen sofort, und sie wusste, sie musste ihren Job tun, egal, ob ihre Mandanten schuldig waren oder nicht. Aber wenn sie nicht nur der Polizei, sondern auch ihr das Blaue vom Himmel herunterlogen - und das taten die meisten -, wider alle Vernunft ihre Unschuld beteuerten und dabei versuchten, sie für dumm zu verkaufen, dann hatte sie Schwierigkeiten. Am schlimmsten aber war es, wenn sie nicht feststellen konnte, ob sie logen oder die Wahrheit sagten.
    Was für ein Fall war Walter Gruber? Er hatte ihr überhaupt keine richtige Antwort auf ihre Frage gegeben, und eigentlich hatte sie ihn auch gar nicht wirklich fragen wollen. »Unschuldig«, beschloss sie erneut und spürte, wie der Zigarettenrauch in ihrem Rachen kratzte. Sie warf die Zigarette weg und trat sie aus. Es gab also eine dritte Person, jemand, der morgens um fünf, nur wenige Minuten nachdem Gruber gegangen war, bei Irmgard Gruber geklingelt hatte … Nein, halt: Es war unwahrscheinlich, dass er geklingelt hatte. Der Nachbar war bereits wach gewesen. Er hatte Stimmen und Geräusche gehört, aber kein Klingeln davor. Also war er schon drin? Oder hatte einen Schlüssel? War es vielleicht gar der
Nachbar selbst gewesen? Aus verschmähter Liebe? Sie konnte sich an den Namen des Nachbarn, der ausgesagt hatte, nicht mehr erinnern. Nur, dass er unterhalb des Opfers wohnte. Neben den Klingelknöpfen im Erdgeschoss stand links Familie Gschneidtner und rechts Svenja Kirchbauer & Ewald Engel . Sollte etwa Ewald Engel oder Familienvater Gschneidtner der Mörder sein? Clara schüttelte den Kopf.

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