Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
Vom Netzwerk:
Vielleicht ein bisschen zu weit hergeholt. Jedenfalls aber war der Täter ein Mann. Clara konnte sich nicht vorstellen, wie eine Frau es fertigbringen sollte, Irmgard Gruber mit bloßen Händen zu erwürgen und sie dann zum Auto zu schleppen und in den Kofferraum zu hieven. Es sei denn, sie wären zu zweit gewesen … Wieder schüttelte Clara den Kopf. Diese Spekulationen waren sinnlos. Sie brachten sie keinen Millimeter weiter.
    Sie wollte sich gerade abwenden, da ging die Haustür auf. Ein junger Mann kam heraus, ebenfalls eingewickelt in Schal und Mütze. Er warf ihr einen kurzen, desinteressierten Blick zu und ging dann mit hochgezogenen Schultern und wiegendem Cowboyschritt an ihr vorbei, die Hände in die Hosentaschen seiner Jeans gezwängt. Clara sah ihm einen Augenblick nach. Das war mit Sicherheit nicht Familienvater Gschneidtner. Vielleicht Ewald Engel? Aber er sah nicht so aus, als würde er mit einer Frau namens Svenja Kirchberger zusammenwohnen. Clara warf noch einen Blick auf die Klingeln. Ganz oben stand ein Name, der zu dem jungen Mann passte: Thomas Schatz, der Bewohner der Dachgeschosswohnung. Clara nickte zufrieden. Sicher ein Student. Einzimmerapartment, Küchenzeile, die Dachschräge voller Bücher, Schreibtisch mit Blick auf den Biergarten. Vielleicht Tiermedizin, die tierärztlichen Kliniken waren nur ein paar Minuten entfernt von hier.
    Dann stutzte sie. Elise, die ungeduldig neben ihr stand,
hatte sich gegen die Haustür gelehnt, und diese hatte nachgegeben. Vorsichtig drückte Clara dagegen. Sie war offen. Nachdem der junge Mann herausgekommen war, war sie offenbar nicht mehr richtig ins Schloss gefallen. Sie ließ die Tür los, ohne sie zuzuziehen, und drückte dann noch einmal dagegen. Sie war noch immer offen.
     
    Clara griff nach Elises Halsband und betrat das Haus. Im Erdgeschoss erinnerte nichts an das Verbrechen, das hier stattgefunden hatte. Weiß gestrichene Wände, zwei geschlossene Türen, silberfarbene Namensschilder. Vor der Tür der Familie Gschneidtner standen ein Paar winzige, rosafarbene Winterstiefel. Clara stieg die Treppen zum ersten Stock hinauf: Dort, links von der Treppe, also über der Wohnung der Familie Gschneidtner, war Irmgard Grubers Wohnung. Die Tür war noch versiegelt, aber ansonsten auch hier, wie ein Stockwerk tiefer: saubere Treppenhausleere. Es gab einen Aufzug, direkt neben der Wohnungstür, mit dem musste der Mörder Irmgard Gruber in die Tiefgarage transportiert haben.
    Clara konnte es vor sich sehen: Der Unbekannte drückt den Knopf, wartet, bis sich der Aufzug in Bewegung setzt, und dann trägt oder schleift er die Tote aus der Tür und in die Kabine. Höchstens ein, zwei Minuten würde das dauern. Unten in der Tiefgarage die gleiche Vorgehensweise: Wahrscheinlich war er vorher schon unten gewesen und hatte das Auto direkt vor den Aufzug gestellt. Ein kurzer Kraftakt, um die Tote in den Kofferraum zu befördern, Klappe zu, und nichts Verdächtiges gab es mehr zu sehen. Um fünf Uhr morgens war das Risiko, jemandem bei diesem Unterfangen zu begegnen, nicht sehr hoch. Dennoch fand es Clara ziemlich abgebrüht. Vor allem, wenn man, wie die Polizei, davon ausging, dass es Gruber gewesen sein sollte. Er hatte seine Frau
geliebt und unter ihrer Trennung gelitten. Außerdem hatte er gerade die Nacht mit ihr verbracht. Selbst wenn es in einem Anfall von Wut oder verletztem Stolz, oder was auch immer, so weit gekommen wäre, hätte er dann noch diese Kaltblütigkeit aufbringen können? Clara konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen. Je länger sie darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher und absurder erschien ihr der Gedanke.
    Sie machte kehrt und ging mit Elise wieder hinunter. Die Tür war noch immer nicht ins Schloss gefallen. Jeder, der wollte, konnte das Haus betreten, ohne zu klingeln. So musste es auch am Freitagmorgen gewesen sein. Gruber hatte das Haus verlassen und leise, behutsam die Haustür beigezogen, um keinen unnötigen Lärm zu verursachen. So war die Tür offen geblieben. Und diesen Umstand hatte sich jemand anderer zunutze gemacht. Aber wer? Und warum? Es musste jemand sein, der vor dem Haus gewartet hatte. Jemand, der Irmgard Gruber und ihren Mann kannte. Clara runzelte die Stirn. Es musste eine Verbindung zwischen dem Mörder und den Grubers geben. Anders war der Fall nicht denkbar.
    Hinter der Tür der Familie Gschneidtner rumorte es. Man hörte ein Kind reden, und die Stiefel vor der Tür waren verschwunden. Clara, die

Weitere Kostenlose Bücher