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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Leiche gelegen hatte.
    Die Spurensicherung hatte ihre Arbeit beendet und in einen Bericht gepackt mit dem Vermerk, dass keinerlei Hinweise auf die Identität des Täters oder sonstige Spuren gefunden werden konnten. Der Täter war mit dem Auto an den Rand der Böschung gefahren, hatte die Leiche ausgeladen, sie den Hang hinunterrollen lassen und war wieder weggefahren. Den Morgenmantel hatte er oben an der Böschung liegen lassen. Dann hatte er das Auto zurück in die Tiefgarage und den Schlüssel zurück in die Wohnung gebracht und war verschwunden.
     
    Clara ging in die Hocke und musterte die Umgebung mit zusammengekniffenen Augen. Warum hier? Was war so besonders an diesem Ort? Diese Frage rotierte in ihrem Kopf zusammen mit der noch viel wichtigeren, im Grunde alles entscheidenden Frage: Warum wurde Irmgard Gruber überhaupt aus ihrer Wohnung weggebracht?
    Es herrschte absolute Stille, die durch das kaum hörbare Plätschern des Baches und das vage, allgegenwärtige Dröhnen des Verkehrs in der Ferne noch betont wurde. Clara ging am Rand der Böschung in die Knie und verharrte dort nachdenklich. Sie musste nachdenken. Irgendwas störte sie. Etwas, was ihr schon beim Lesen der Akte absurd vorgekommen war. In Gedanken ging sie die Tat noch einmal Schritt
für Schritt durch und staunte dabei wieder aufs Neue, wie einfach, wie gut durchdacht und simpel das alles gewesen war. Langsam nickte sie. Das war es: ein Plan. Diese ganze Sache sah nach einem Plan aus und keineswegs nach einer Affekthandlung. Und damit rückte Gruber als Verdächtiger noch ein Stück weiter weg. Sie stand auf und schüttelte ihre Beine aus. Es war Zeit, nach Hause zu gehen. In einer halben Stunde würde es dunkel sein.

FÜNF
    Es war gut, dass er noch einmal umgekehrt war. Irgendetwas an dieser Frau hatte ihn stutzig werden lassen. Was es gewesen war, konnte er nicht sagen. Er war seinem Instinkt gefolgt. Darin war er schon immer gut gewesen: die Handlungen und Gefühle anderer vorauszusehen, ehe sie auch nur gedacht oder gefühlt waren. Sie hatte geglaubt, er fürchte sich vor ihrem Hund. Hatte ihn festgehalten. Das sollte ihn wohl beruhigen. Sein Mund verzog sich zu einem verächtlichen Lächeln. Als ob er sich vor einem Hund fürchten würde. Nie und nimmer. Er mochte Hunde, und Hunde mochten ihn. So war es immer schon gewesen. Er hatte ihr nachgesehen, wie sie die Straße entlanggegangen war, eine ganze Weile, und dann war er umgekehrt und ihr in weitem Abstand gefolgt. Es war nicht schwer gewesen, sie im Auge zu behalten, es waren kaum Leute unterwegs, eigentlich niemand außer ihnen beiden und hin und wieder ein Auto.
    Als er erkannte, dass sich seine böse Ahnung tatsächlich bewahrheiten sollte, war es wie ein Schock. Er drückte sich schnell in die Büsche, die dort am Rande der Abzweigung wuchsen, und starrte durch die kahlen Äste hinüber zu der Flussbiegung, wo die Frau mit der grünen Mütze stehen geblieben war. Mit schreckgeweiteten Augen beobachtete er, wie sie suchend und prüfend hin und her ging und sich schließlich an die Böschung hockte und hinuntersah.
    AN GENAU DER STELLE!

    Er begann zu zittern, und ihm wurde übel. Er hatte recht gehabt: Sie war nicht zufällig hier. Es war noch nicht vorbei, wie er in einem Anfall leichtsinniger Sorglosigkeit geglaubt hatte. Diese Frau war keine harmlose Spaziergängerin. Er hatte sie geschickt. So weit ging seine Besessenheit, ihn sogar noch aus dem Gefängnis heraus zu verfolgen. Wahrscheinlich war sogar der Hund nur Tarnung. Ein durchsichtiges Manöver, um ihn zu täuschen. Wusste er, dass er Hunde gern hatte? Dass es ihm Freude bereitete, ihnen beim Spielen zuzusehen und sie manchmal, wenn niemand es bemerkte, sogar zu streicheln? Konnte er das wissen? Woher?
    Er ballte die Fäuste und drückte sie sich gegen die Schläfen. Es war so ungeheuerlich, er verstand nicht, warum ihm, ausgerechnet ihm, so etwas passieren musste. Warum nun auch noch diese Frau? Würde es denn nie enden? Niemals? Wieder überkam ihn eine Welle der Übelkeit. Krampfhaft versuchte er, sie zurückzudrängen, doch es half nichts. Tränen traten ihm in die Augen, und er erbrach sich zwischen die kahlen Äste eines Busches. Wieder und wieder zog sich sein Magen schmerzhaft zusammen, er hustete und würgte so lange, bis nichts mehr kam als Galle, giftige grüne Galle. Dann war es vorbei. Mit zittrigen Fingern kramte er ein Taschentuch aus seinem Anorak und wischte sich damit über das schweißnasse Gesicht.

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