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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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zur Ruhe. Nannte sich selbst ein »dämliches Huhn«. Eine Sekunde später wurde daraus »ein an Dämlichkeit kaum zu überbietendes Huhn«, und die rote Rose, die sie seit einer halben Stunde zwischen den Fingern hin und her gedreht hatte, landete kopfüber im Mülleimer. Sie hatte die Fahrt im zugigen Defender ohnehin nur halberfroren überstanden. Außerdem war das albern. Eine Rose. Puh, wie kitschig. »Zu viele Schmachtfilme gesehen, was?«, spöttelte Clara an Elise gewandt, die an diesem sträflichen Anfall von Romantik jedoch keinerlei Schuld trug und entsprechend unbeteiligt dreinsah.
    Clara wischte sich ihre feuchten Finger an der Jeans ab. Wenn sie nur rauchen könnte. Aber rauchfrei überall. Zum Kotzen war das. Dann sah sie ihn, ganz hinten, und ihr Herz machte einen kleinen Sprung. »Es waren doch nur drei Wochen«, flüsterte die kühle Spielverderberin in ihrem Kopf, doch umsonst, Clara hörte sie nicht mehr. Sie stand stocksteif und still an der Absperrung und konnte den Blick nicht mehr abwenden. Da kam er. Clara erkannte seinen schlaksigen Gang, die Art, wie er den Kopf hielt. Er sah aus wie immer … Aber nein! Er…O Gott, Clara riss die Augen auf und starrte ihn an. Er hatte sich die Haare geschnitten. Ach was, geschnitten: abrasiert, ratzekahl geschoren. Clara schnappte nach Luft, während Mick um die Absperrung herumkam und seinen Reisesack absetzte.
    »Hiya«, sagte er, und als sie keine Antwort gab, fuhr er sich unsicher über seinen millimeterkurzen Stoppelkopf. »Kennst du mich noch? Ich bin’s, Mick.«

    Clara hob eine Braue: »Du siehst aus wie ein frischgeschorenes Schaf.«
    Mick nickte etwas gequält: »Das war meine Schwester. Darf ich trotzdem nach Hause kommen?«
    Nach Hause kommen.
    Clara warf einen Blick auf den Mülleimer, aus dem der Stiel der Rose stakte. Sie war wirklich an Dämlichkeit kaum zu überbieten. Ohne nachzudenken, zog sie sie wieder heraus und hielt sie Mick hin. »Ich freue mich so, dass du wieder da bist«, sagte sie feierlich, und ihre Stimme zitterte dabei ein wenig. Prompt begannen ihre Wangen zu glühen.
    Mick schielte vom Mülleimer auf die Blume, die bereits merklich den Kopf hängen ließ, und dann auf Clara: »Wie ich sehe, hast du keine Kosten und Mühen gescheut, mich willkommen zu heißen«, sagte er trocken und grinste dann breit, als Claras Gesichtsfarbe von Hellrot zu Purpur wechselte.
    »Das war anders …«, begann sie, unterbrach sich dann aber achselzuckend und fiel ihm endlich um den Hals.

    Walter Gruber stand am Fenster und sah unschlüssig auf den Balkon hinaus. Dort, an der Betonbrüstung, lehnte sein Sohn und starrte in die Tiefe hinunter. Sechs Stockwerke. Hin und wieder trank er einen Schluck aus seiner Tasse. Es hatte mindestens sieben Grad unter null an diesem Montagmorgen, und Gruber überlegte, weshalb Armin wohl da draußen rumstand. Wollte er sich vom Balkon stürzen, oder was? Warum war er nicht bei ihm sitzen geblieben, am Küchentisch, wie gestern und vorgestern Morgen auch? Er hatte sich Mühe gegeben, ihn nicht zu nerven, hatte Rücksicht genommen, ihn gefragt, ob er frische Semmeln möge oder lieber eine Scheibe Brot, Tee oder Kaffee, hatte ihm die Zeitung angeboten, bevor
er selber einen Blick hineingeworfen hatte, ohne wirklich zu lesen. Nur aus Gewohnheit hatte er hineingeschaut, zuerst in den Lokalteil, dann den Sport überflogen, Wirtschaft, Politik, Weltgeschehen. Das Feuilleton hatte er ausgelassen. Wie immer. Das hatte Irmi gehört. Sie hatte immer mit der Kultur angefangen, dann Lokales und dann Politik. Sport und Wirtschaft hatten sie nicht interessiert. Dafür wollte sie über neue Ausstellungen, Kinofilme und Theaterstücke Bescheid wissen.
    »Da könnten wir mal hingehen, was meinst?« Oder: »Der Film soll echt gut sein.«
    Er hatte nur gebrummelt, wohl wissend, dass sie beide niemals dort hingehen würden. Und so war es auch gekommen. Es war beim täglichen Lesen des Feuilletons geblieben. Und irgendwann hatte Irmi keine Vorschläge mehr gemacht und schweigend gelesen. So wie er. Er las seine Zeitung immer schweigend. Man konnte schließlich nicht alles gleichzeitig machen: Kaffee trinken, Zeitung lesen, seiner Frau zuhören und auch noch dabei reden. Frauen konnten das vielleicht. Er nicht.
    Er hatte geglaubt, es sei so eine Art Hobby seiner Frau, sich auszumalen, wo man überall hingehen könnte , ohne es jedoch ernsthaft zu beabsichtigen. Eine Art Frühstücksbeschäftigung, mehr nicht. Was sollte man auch

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