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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Spüle sollte poliert sein, und hinter ihm am Tisch saß sein fremder Sohn, und das Schweigen stand zwischen ihnen wie eine Mauer aus Glas, Panzerglas, auch das zersprang nicht so einfach, genauso wie er nicht einfach zersprang, in kleine Scherben, tausend kleine Scherben. Er wollte ihn umarmen, Armin, seinen Sohn, der als Kind schon immer viel zu ernst gewesen war, aber er war zu weit weg. Er konnte ihn nicht erreichen. Lieber noch wäre er selbst in den Arm genommen worden. Dann hätte er sich fallen lassen. Vielleicht wäre es dann gelungen. Vielleicht hätte er dann verzweifeln können.
    Er breitete das feuchte Küchentuch aus, strich es sorgfältig glatt und hängte es über den Griff am Herd. Dann nahm er die Kanne aus der Maschine und ging zurück zum Tisch. »Wegen der zwei Tassen braucht’s die Thermoskanne nicht«, begann er und verstummte dann abrupt. Er klang wie ein alter Mann. Ein alter Mann, der so in seinen Gewohnheiten eingerostet war, dass es ihn verunsicherte, wenn er den Kaffee nicht wie üblich in die Thermoskanne goss. Und genauso fühlte er sich auch. Müde ließ er sich auf seine Bank sinken.
    Armin schüttelte den Kopf, als Gruber ihm nachgießen wollte. »Ich muss mal ein bisschen raus. Ich ersticke hier drin.«
    Gruber nickte. Er kannte das Gefühl, das ihn manchmal
bei der Arbeit überkam, wenn er in fremden Wohnungen stand, in denen die Trauer und der Schmerz so greifbar waren, dass man glaubte, sie anfassen zu können. Sie schnürten einem die Luft ab. Er stellte die Kanne ab. Blieb sitzen, während Armin aufstand, und sah wieder zum Fenster hinaus. So fremd waren sie sich geworden, dass er nicht einmal wusste, wohin er gehen könnte. Hatte er noch Freunde hier in der Stadt? Er wollte ihn fragen und brachte es doch nicht über die Lippen. Armin war erwachsen, und er wollte nicht wie eine alte Glucke wirken, die sich plötzlich auf ihre Elternpflichten besinnt.
    »Und? Was ist jetzt?«
    Gruber wandte den Kopf. »Was soll sein?«
    Armin stand in der Tür zur Küche und zog sich seine Lederjacke an. Ein viel zu dünnes Kleidungsstück für diese Schweinekälte. »Kommst jetzt mit, oder was?« Es klang forsch und gleichzeitig ängstlich, so als fürchte er, sein Vater könnte ihn zurückweisen.
    »Ach so, ja.« Gruber stand eilig auf, bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr er sich darüber freute, dass Armin mit ihm gehen wollte. »Ich komm’ schon.«
     
    Sie gingen zu Fuß durch ihr Viertel. Hier gab es wenig zu sehen, was sehenswert war, und praktisch keinen Stein, den Gruber nicht kannte. Und kaum jemanden, der Gruber nicht kannte. Er schlug den Kragen seines Mantels nach oben und nickte Barisch kurz zu. Der Besitzer des türkischen Cafés auf der anderen Straßenseite war ein Freund von ihm. Er kannte ihn schon, seit Barisch seinen Laden eröffnet hatte. Vorher war hier eine kleine Wirtschaft gewesen, in der sich Gruber hin und wieder nach Feierabend zusammen mit Irmi einen Absacker genehmigt hatte. Auch mit Freunden waren
sie öfters dort gewesen. Dann hatte das Wirtshaus geschlossen, und Barisch war gekommen. Irmi hatte nicht in die »Dönerbude« gehen wollen, wie sie sich ausgedrückt hatte, und ihre Freunde schon gleich zweimal nicht. So hatten sie ihren Treffpunkt verlagert in eine neue, bayerisch aufgebrezelte Wirtschaft in Schwabing, in der sich die Anzugträger aus den umliegenden Büros trafen, um sich bei einem Schweinsbraten aus der Tiefkühltruhe und Kochbeutelknödln so richtig münchnerisch zu fühlen. Gruber war selten mitgegangen. Es gefiel ihm dort nicht, er fand es affig, mit den getrockneten Hopfendolden um die nachgemachten, auf alt getrimmten Balken drapiert, viel zu teuer und außerdem zu weit weg von seiner Wohnung für ein schnelles Feierabendbier. Und so war er, der »eigensinnige Depp«, wie seine Frau ihn deswegen betitelt hatte, bei Barisch gelandet. Ein gutes Bier gab es dort auch, zu einem vernünftigen Preis, und garantiert keine Anzugträger.
     
    Sie gingen schweigend nebeneinander her. Gruber konnte sehen, wie Armin in seiner dünnen Lederjacke fror, aber er sagte nichts. Das war Irmis Part gewesen. Ständig hatte sie versucht, ihm einen Schal, Handschuhe oder eine Mütze aufzudrängen. Doch Irmi war nicht mehr da, und jetzt musste Armin sich selbst drum kümmern, dass er sich keine Grippe einfing. Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag: Mit Irmis Tod waren sie keine Familie mehr. Es gab nur noch zwei Männer, einen jungen und einen nicht

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