Seelengift
nahmen ihn nicht ernst. Er war das gewohnt. Aber in diesem Fall war es ihm recht. Er übertrieb seine Langsamkeit, seine Ungeschicklichkeit und drückte sich schwerfällig aus, das Bayerische
betonend, obwohl er eigentlich normalerweise kaum Bayerisch sprach. Jetzt tat er es mit holprigem »die, wo«, häufig eingeflochtenem »ja oiso«, »ja mei« und einer Menge »i woaß ned«.
Die beiden antworteten mit hochgezogenen Brauen, sprachen langsam und deutlich mit ihm wie mit einem geistig zurückgebliebenen Dorftrottel und unterhielten sich dann abgewandt und leise miteinander. Ihre rheinischen »dat« und »wat« klangen scharf und kalt, flogen wie verirrte Pistolenschüsse durch den Raum, den ihr Vater so geliebt hatte. Er stand unterwürfig ein paar Schritte entfernt und wartete. Am Ende, nachdem Sabine Bockelmann-Thömmes noch einen kurzen Blick in die Teeküche geworfen hatte, um sich sofort schaudernd abzuwenden, wurde man sich einig: Der beschränkte Gehilfe des armen Vatis erklärte sich bereit, sich um den Laden zu kümmern. Er würde »den ganzen Krempel« übernehmen und das Geschäft weiterführen. Den beiden war deutlich anzusehen, was sie davon hielten, einen solchen Laden behalten zu sollen. Aber auf diese Weise entledigten sie sich auf elegante Weise - Vati hätte es so gewollt - ihrer Pflicht, den Laden zu kündigen, auszuräumen und den Müll zu entsorgen.
Als ihm Werner Bockelmann mit wichtigtuerisch zusammengekniffenen Augen und dem Gehabe eines viertklassigen Geschäftsmannes schließlich einen Betrag für die Ablöse der Ware nannte, warf Sabine Bockelmann-Thömmes ihm einen vorsichtigen Blick zu, eine Mischung aus Gier und der Furcht davor, er könne die Summe womöglich nicht aufbringen und am Ende doch noch abspringen. Es war ein Spottpreis. Ein Bruchteil dessen, was der Laden wert war. Aber die beiden hatten ja keine Ahnung.
Er jammerte noch ein bisschen herum, im breiten Bayerisch,
murmelte etwas von »lauter Glump«, das sich nicht verkaufen ließ, und seinen Mühen, das alles wieder auf Vordermann zu bringen. Dann, nach einigem Hin und Her, zahlte er ihnen den Betrag in bar, und Werner Bockelmann stopfte die Scheine in seinen Geldbeutel mit dem zufriedenen Gesichtsausdruck eines Mannes, der einen Trottel aufs Kreuz gelegt hat.
Er selbst hielt während der Transaktion den Kopf gesenkt, was ihm sicher wie demütige Dankbarkeit ausgelegt wurde. In Wirklichkeit wagte er es nicht, die beiden anzusehen, aus Angst, sie könnten ihm ansehen, wer hier wen aufs Kreuz legte. Sie merkten nichts. Wahrscheinlich hätten sie wohl nicht einmal etwas bemerkt, wenn er ihnen frech ins Gesicht gelacht hätte. Ihre Erleichterung, den Laden und alles, was damit zusammenhing, so schnell und problemlos losgeworden zu sein, war so groß, so offensichtlich, dass es fast schon obszön zu nennen war. Zweifel hatten daneben keinen Platz.
Noch am gleichen Tag reisten sie ab, und er trat in den Mietvertrag als neuer Eigentümer des Modelleisenbahnladens Bockelmann ein. Er bestellte die Putzfrau für einen Generalputz, zahlte ihr sogar einen Sonderzuschlag und räumte in tagelanger akribischer Kleinarbeit den Laden und das Lager auf, sortierte die Bestände, brachte Buchhaltung und Inventarlisten auf Vordermann und kaufte sich einen Computer und ein spezielles Programm für die Bestellungen, die Buchhaltung und die Steuererklärung.
Modelleisenbahnen Bockelmann war nun sein Laden: ein Spezialgeschäft, das weit über die Grenzen Münchens bekannt war und in dem man für Raritäten ein Vermögen ausgeben konnte. Es gab nichts, was bei Bockelmann nicht aufzutreiben war. Und bei den Summen, die echte Sammler für
Modelleisenbahnen und Zubehör ausgaben, war nach oben keine Grenze gesetzt. So gab es Loks im Laden, an denen Karl-Heinz Bockelmanns rechtmäßige Erben achtlos vorübergegangen waren, die ein kleines Vermögen wert waren. Das Lager war voll, und mit den Bestellungen übers Internet kam er gerade so nach. Der Laden brummte. Und er gehörte ihm. Ein Traum hatte sich erfüllt.
Das war jetzt schon über zehn Jahre her. Er war natürlich nicht wirklich reich geworden mit dem Geschäft, dazu war die Sammlergemeinde doch zu überschaubar, und Laufkundschaft gab es praktisch nicht. Aber er hatte ein mehr als gutes Auskommen und musste sich keine Sorgen machen.
DARÜBER NICHT.
Sein Blick fiel auf seine Hände. Sie waren rot und gereizt vom vielen Waschen. Er mochte keine ungewaschenen Sachen. Vor allem keine
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