Seelengift
Clara konnte Blaumänner ausmachen, weiße und karierte Hosen, Malerkäppis und Kochmützen. Am Boden längs der Regale standen Schuhe mit Stahlkappen und klobige Stiefel aufgereiht. Links neben dem Eingang gab
es eine kleine, vom Gebrauch glattpolierte Holztheke mit einer hypermodernen Registrierkasse darauf.
Dort stand eine Frau mittleren Alters und lächelte sie und Elise freundlich an. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie.
»Äh. Ja …« Clara zögerte. Sie hatte eigentlich vorgehabt, sofort auf Gerlinde Ostmann zu sprechen zu kommen, doch jetzt kamen ihr Zweifel. Was würde sie erfahren, wenn sie sich als Anwältin desjenigen Kommissars zu erkennen gab, der damals in dem Fall ermittelt hatte und jetzt selbst eines Mordes verdächtig war? Wohl nichts. Zumindest nichts Neues. Ihre Blicke wanderten über die Regale hinunter zu den Schuhen. »Ich hätte gerne … solche Schuhe.« Sie deutete auf die schweren Stiefel. »Haben Sie die auch in Größe 38?«
Die Frau sah etwas überrascht drein. »Da muss ich nachsehen, ob wir so kleine Größen dahaben … das sind Feuerwehrstiefel.«
»Ach. Schade. Ich dachte nur, Gerlinde sagte einmal, die wären so gut zum Spazierengehen. Halten viel mehr aus als andere Schuhe. Ich bin ja viel unterwegs, mit dem Hund und so …« Sie lächelte harmlos.
»Gerlinde? Sie meinen Gerlinde Ostmann?« Die Frau sah sie erschrocken an.
»Ja, das ist eine Bekannte von mir.« Clara kraulte Elise hinter den Ohren und plauderte munter weiter: »Ich habe sie eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. War jetzt einige Zeit im Ausland, wissen Sie … da verliert man sich leicht aus den Augen. Ist sie da? Da könnte ich schnell mal Hallo sagen …«
»N-nein.« Die Frau zupfte sich nervös am Ohrläppchen. »Sie ist …«, begann sie, dann wich sie aus: »Sie waren im Ausland, sagten Sie?«
»Ja«, gab Clara zurück und plauderte drauflos. »Ich war in Irland. Meine Familie lebt dort. Das heißt mein Exmann und
mein Sohn. Wir dachten, wir könnten noch einmal von vorne beginnen …«, sie zuckte mit den Schultern und schaute betrübt drein. »Hat nicht geklappt. Und jetzt bin ich wieder da. Hat Ihnen Gerlinde nie etwas von mir erzählt? Ich habe ihr ein paar Mal geschrieben, wollte, dass sie mich besuchen kommt …« Sie verstummte, fast beschämt darüber, wie sie der guten Frau das Blaue vom Himmel herunterlügen konnte, ohne rot zu werden.
»Nein, hat sie nicht.« Die Frau räusperte sich. »Gerlinde … ja … also Gerlinde ist tot. Seit über einem Jahr schon.«
Clara riss die Augen auf. »Tot? Aber das kann doch gar nicht sein.« Sie schüttelte den Kopf. »Was ist denn passiert? Du meine Güte! Ich hatte ja keine Ahnung. War es das Herz?«
Die Frau sah sie scharf an. »Ach, Sie wussten von ihren Herzproblemen? Uns hat sie nie etwas davon gesagt.«
Clara nickte und sah kummervoll drein. »Doch, sie hatte immer wieder Probleme mit dem Herzen. Aber sie wollte niemanden damit belästigen. Sie wissen doch, wie sie war.«
Die Frau nickte vage, doch dann sagte sie langsam: »Ich weiß eigentlich nicht genau, wie sie war.«
»Aber sie hat doch fast zwanzig Jahre bei Ihnen gearbeitet«, wandte Clara ein. »In so langer Zeit lernt man sich doch kennen. Da wurden doch sicher ein paar Freundschaften geschlossen?«
»Freundschaften? Nicht dass ich wüsste«, gab die Frau etwas brüsk zurück. »Also mit mir ja sowieso nicht, als Chefin muss man Distanz wahren zu seinen Angestellten, alles andere bringt nur Verdruss.«
In Claras Kopf klingelte etwas. Ein Verdacht.
»Und Ihr Mann?«, fragte sie leichthin. »Hielt er es auch so mit der Distanz wie Sie?«
Ein Schuss ins Blaue, doch die Wirkung war verblüffend.
Die Frau blähte die Nasenflügel und warf ihr einen giftigen Blick zu. »Natürlich!«, zischte sie mit Verachtung in der Stimme. »Natürlich hat sie Ihnen davon erzählt, wenn sie Ihre Freundin war. Hätte ich mir ja denken können, dass sie es überall herumtratscht, diese einfältige …«
»Ach? Gerlinde hatte also tatsächlich ein Verhältnis mit Ihrem Mann?« Das waren ja interessante Neuigkeiten.
Die Augen der Frau waren so hart und kalt wie Glasmurmeln, als sie antwortete. »Natürlich hatten sie kein Verhältnis! Was auch immer sie Ihnen erzählt hat, es war gelogen. Gerlinde Ostmann war Buchhalterin. Zahlen, Bilanzen und Steuern waren ihre Aufgabe. Was sie sich in ihrer Freizeit so zusammengesponnen hat, weiß ich nicht.« Sie zuckte demonstrativ mit den Schultern.
»Aber
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