Seelengift
gerade, da sagten sie doch …«, versuchte Clara einzuwenden, doch die Frau unterbrach sie scharf.
»Ich sagte nichts dergleichen. Nur dass ich mir denken konnte, dass sie Ihnen etwas Derartiges erzählt hat. Sie hat sich da etwas eingebildet! Reine Einbildung! Das war nur wegen dieses Betriebsausflugs. Aber das wissen Sie ja wahrscheinlich schon. Am Abend auf der Feier hat mein Mann wohl ein wenig zu oft mit ihr getanzt. Ein bisschen geflirtet, wie das eben ist auf solchen Feiern.« Sie schürzte die Lippen.
»Mm, ja«, stimmte Clara zu und musterte sie dabei nachdenklich. Frau Hartmann sah nicht so aus, als wüsste sie aus eigener Anschauung, wovon sie sprach, und ihre weiteren Worte bestätigten diese Einschätzung umgehend:
»Ich, für meinen Teil war ja immer schon gegen solche Unternehmungen. Ich fahre auch nie mit. Dort wird immer Alkohol getrunken, mehr, als so manchem guttut, und dann kommt es zu Ausschweifungen, und es verwischen die Grenzen zwischen dem, was sich schickt und was nicht sein darf.«
Sie sog die Luft durch ihre bebenden Nasenlöcher ein und zupfte mit spitzen Fingern am Kragen ihrer Bluse.
Ein paar Ausschweifungen hätten dir vielleicht auch einmal ganz gut getan, dachte Clara boshaft.
Frau Hartmann fuhr fort: »Mein Mann ist ein wenig unbedarft in dieser Hinsicht, wenn Sie verstehen, was ich meine. Es war ihm gar nicht bewusst, dass sich diese einfache Frau deswegen irgendwelche Hoffnungen machen könnte.«
Sie verzog ihre Mundwinkel verächtlich nach unten, und Clara fiel auf, was für ein böses, spitzes Gesicht sie hatte. Wer’s glaubt, wird selig, dachte sie, doch sie sagte nichts. Die Frau redete jetzt, da sie einmal damit angefangen hatte, unbeirrt weiter. Sie schien ganz vergessen zu haben, dass Clara angeblich eine Freundin von Gerlinde gewesen war und gerade erst von ihrem Tod erfahren hatte. Oder es war ihr egal. Sie sprach wie unter einem Zwang. Es sprudelte nur so aus ihr heraus. Als müsste sie sich auch über ein Jahr nach dem Tod von Gerlinde Ostmann noch immer rechtfertigen.
»Er hat sich nichts dabei gedacht, verstehen Sie? Aber sie, sie war ja vollkommen ausgehungert. Hat ja niemanden mehr gehabt seit ihrer Scheidung, und die ist ja schon vor Jahren gewesen. Da kam ihr mein Mann eben gerade recht. Angehimmelt hat sie ihn. Förmlich angeschmachtet. Es war unerträglich. Jedem ist das aufgefallen hier in der Firma. Jedem! Die Angestellten haben schon über sie gelacht. Man konnte es einfach nicht mehr mit ansehen.«
Du konntest es einfach nicht mehr mit ansehen, dachte Clara. Weil sie auch über dich gelacht haben. Sie nahm Elise am Halsband und ging zur Tür. »Ich glaube, ich muss jetzt gehen«, sagte sie. »Das war jetzt ein bisschen viel für mich …«
Die Frau unterbrach ihren Redefluss und sah sie erschrocken an. »Oh. Ich rede und rede, und dabei habe ich noch gar
nicht nach den Schuhen geschaut, die Sie haben wollten. Es tut mir leid …!«
»Nein, nein, danke, ich glaube, ich habe es mir anders überlegt.« Clara winkte ab.
»Nein! Warten Sie doch, wir haben sicher kleinere Größen hinten im Lager. Mein Mann ist ohnehin gerade wegen einer neuen Lieferung da. Er kann schnell nachsehen.«
Claras Hand, die gerade die Klinke drücken wollte, verharrte bewegungslos.
»Ihr Mann?« Sie würde den Mann, der ein Verhältnis mit Gerlinde Ostmann gehabt hatte, auf dem Silbertablett serviert bekommen?
»Also gut«, gab sie scheinbar zögernd nach. »Wenn es Ihnen keine Umstände macht.«
Frau Hartmann hatte sich wieder gefangen und schenkte ihr ein zuckersüßes Kundenlächeln, so als hätte sie sich nicht gerade bei ihr, einer wildfremden Person, über das angebliche Liebesverhältnis ihres Gatten zu seiner Buchhalterin ausgelassen. Sie ließ Clara stehen und ging nach hinten, um ihren Mann zu holen.
Clara wartete gespannt und überlegte, ob die Polizei etwas von diesem Techtelmechtel gewusst hatte. In der Akte stand jedenfalls nichts. War Herr Hartmann nach dieser Geschichte nicht der klassische Verdächtige? Clara wurde ganz heiß bei dem Gedanken, dass sie womöglich so schnell ans Ziel gelangt sein sollte. Es passte so gut zusammen: Gerlinde Ostmann hatte damals ihren letzten Tag bei der Firma Hartmann gehabt. Clara war sich sicher, dass sie auf Betreiben der Ehefrau entlassen worden war. Deshalb auch die kurze Kündigungszeit nach zwanzig Jahren und die großzügige Abfindung. Von wegen wirtschaftliche Gründe! Am Abend hatte sie ihren ehemaligen Chef
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