Seelengift
ihr Mann ihr irgendwo aufgelauert?«
»Hallo! Hörst du mir zu? Sie - wollte - nicht - mit - mir - sprechen! Als sie kapiert hat, dass du nicht da bist, ist sie wieder weg.«
»Verdammt! Warum hast du sie nicht aufgehalten?« Clara wandte sich zum Gehen. »Ich muss sie finden.«
»Moment! Ich bin noch nicht fertig.« Willi hob die Arme. »Wir reden gerade miteinander.«
Clara fuhr herum. »O nein, mein Lieber, wir reden nicht! Du redest. Du machst mir Vorwürfe. Es tut mir leid, dass ich nicht da war, o. k.? Und, nur nebenbei gesagt, wenn du irgendwann in der letzten Zeit einmal mit mir geredet hättest, hätten wir nicht diese miserable Stimmung hier.«
»Worüber denn geredet? Wovon sprichst du eigentlich, Clara? Kannst du vielleicht mal von deinem hohen Ross herunterkommen und mir verraten, was du für ein Problem hast?«
Clara sah ihn einen Augenblick an, dann sagte sie: »Rutsch mir den Buckel runter!«
Sie ließ ihn einfach stehen und rannte die Treppe hinunter. Während sie ihren Mantel wieder anzog, sagte sie zu Linda: »Für Willis Protokoll: Ich bin auf dem Weg zum Frauenhaus, um mit Frau Erez zu sprechen. Ich werde in circa zwei Stunden wieder zurück sein.«
Linda öffnete den Mund, wollte etwas sagen, doch Clara kümmerte sich nicht darum. Sie wandte sich brüsk ab und verließ die Kanzlei ohne ein weiteres Wort.
Der Himmel war noch mehr zugezogen, die Wolken hingen jetzt schwer über den Dächern, und es wehte ein scharfer, eiskalter Wind. Er kam Clara gerade recht, sie hob ihm ihr vor Zorn erhitztes Gesicht entgegen und schloss die Augen. »Dieser Idiot«, murmelte sie, doch ihre Wut wollte nicht so recht weiterlodern. Er hatte ja vollkommen recht. Sie hätte natürlich erreichbar sein müssen. Doch das war es nicht, was sie aufwühlte und ihr Magenschmerzen bereitete. Es gab noch etwas anderes, etwas, wofür der Streit mit Willi nur ein Symptom war, und das war auch der Grund, weshalb es ihr noch schwerer als sonst fiel, sich für einen Fehler zu entschuldigen. Es war Trauer. Trauer um ihre jahrelange Freundschaft mit Willi, den sie schon seit dem Studium kannte und mit dem sie viele schwierige Zeiten durchgestanden hatte. Dieser Streit, die Sache mit Linda heute Morgen und jetzt wieder, fühlte sich wie der Anfang vom Ende an.
Etwas hatte sich verändert, seit Willi mit Linda zusammen war, und es betraf nicht nur das Gefüge in der Kanzlei. Clara war sich Willis immer sicher gewesen. Eine Zeitlang hatte sie sogar geglaubt, ein bisschen in ihn verliebt zu sein, doch nachdem es keinerlei Anzeichen gegeben hatte, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte, war es schließlich irgendwann wieder verflogen. Es war ein bisschen wie dieser ganz leichte Duft nach Frühling im Februar gewesen, als die Tage erstmals wieder spürbar länger wurden und die Sonne kräftiger. Es ließ ahnen, wie der Frühling sein konnte, gewährte einen kurzen Augenblick eine kleine Hoffnung darauf. Doch der Februar war der falsche Monat für Frühlingsgefühle, und der nächste Windstoß oder der nächste Schnee wehten sie so schnell und nachhaltig fort, als ob sie nie da gewesen wären.
Claras Stolz hatte bisher nie zugelassen, sich einzugestehen,
dass es sie persönlich schmerzte, dass Willi neuerdings eine Freundin hatte. In ihren großzügigen Momenten gönnte Clara es ihm von ganzem Herzen. Aber dann gab es immer wieder diese egoistischen, kleinlichen Momente, in denen sie eifersüchtig war, in denen sie die Vertrautheit vermisste, die sie beide immer verbunden hatte und die nicht mehr da war. Sie fürchtete sich davor, ihn zu verlieren. Vielleicht hatte sie ihn schon verloren. Clara wandte ihr Gesicht vom Wind ab und vergrub das Kinn tief in ihrem Mantel. Nur nicht den Teufel an die Wand malen. Es würde sich schon wieder einrenken. Jetzt galt es zuerst einmal, Frau Erez zu finden.
Als Clara wieder zurück in die Kanzlei kam, war es schon nach fünf, und sowohl Willi als auch Linda waren schon gegangen. Normalerweise blieb Willi immer mindestens bis sieben. Früher war das jedenfalls so gewesen. Doch Clara war froh, die beiden heute nicht mehr anzutreffen. Sie war erschöpft und zutiefst deprimiert.
Der Fall Erez hatte ihr für heute den Rest gegeben. Sie war den weiten Weg zum Frauenhaus gefahren, nur um zu erfahren, dass ihre Mandantin vor ein paar Tagen beschlossen hatte, zusammen mit ihren Kindern zu ihrem Mann zurückzukehren. Danach war sie nach Perlach gefahren, wo die Familie wohnte, um mit
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