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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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der Frau zu sprechen. Doch man hatte sie gar nicht hineingelassen. Ihr Mann hatte die Tür geöffnet und ihr mit unbewegter Miene erklärt, seine Frau sei krank und für niemanden zu sprechen, und ihr dann die Tür vor der Nase zugeschlagen. Ein Anruf bei der Polizei in der Abteilung Häusliche Gewalt hatte ebenfalls nichts gebracht: Die Familie sei bekannt, ja, man wisse von der Gewalttätigkeit des Ehemanns, aber die Frau erstatte nie Anzeige oder, wenn ja, ziehe sie sie nach wenigen Tagen wieder zurück. Man werde dort
immer mal wieder vorbeischauen, doch ohne die Mitwirkung der Frau könne man nichts machen.
    »Man kann sie schließlich nicht zwingen, ihren Mann zu verlassen«, hatte der Beamte gemeint.
    Clara hatte wütend entgegnet, ob das, was der Mann mit der Frau anstelle, denn nicht der eigentliche Zwang sei, doch ihr war klar gewesen, dass sie auf verlorenem Posten stand. Sie hatte schon zu viele solcher Fälle erlebt, um sich der Illusion hinzugeben, dass sie oder die Polizei in der Lage sei, an der Situation tatsächlich etwas zu ändern. Immerhin hatte sie den Beamten mit dem Hinweis, dass die Frau offensichtlich erneut misshandelt worden war und heute bei ihr um Hilfe gebeten hatte, das Versprechen abgerungen, der Familie noch an diesem Abend einen Besuch abzustatten, um sich zu vergewissern, dass es der Frau gut ging. Dann war der Akku ihres Handys leer gewesen, und Clara hätte es am liebsten in den nächsten Mülleimer geworfen.
     
    Elise öffnete ein Auge, als Clara nach oben zu ihrem Schreibtisch ging, und klopfte zur Begrüßung ein-, zweimal mit dem Schwanz auf den Boden. Dann schlief sie weiter. Auf dem Bildschirm ihres PCs klebte ein Zettel: »War noch mit Elise kurz um den Block, für alle Fälle! Linda.« Clara riss den Zettel ab und warf ihren Mantel über die Stuhllehne. Dann ging sie in die kleine Küche am Ende des Raumes und kochte sich einen starken Kaffee. Ein paar Stunden Arbeit warteten noch auf sie.
     
    Es wurde halb neun, bis Clara endlich die Schreibtischlampe ausknipste und stöhnend aufstand. Ihr Rücken schmerzte vom krummen Sitzen, und ihr Magen knurrte mittlerweile bedenklich. Außer dem Hamburger heute Mittag und einer
halbvollen Tüte Haselnusskekse, die sie in der Kanzleiküche gefunden hatte und die wahrscheinlich Willi gehörte, hatte sie noch nichts gegessen - ganz im Gegensatz zu Elise, für die sie immer Futter in der Kanzlei bereitstehen hatte und die jetzt, nach einer ausgiebigen Mahlzeit, mit eingeklappten Pfoten auf dem Rücken lag und ihren vollgefressenen Bauch in die Höhe reckte, ganz so, als sei sie noch ein rundlicher kleiner Welpe und keine ausgewachsene Dogge in Kalbsgröße.
     
    Nach einem Abstecher bei Rita und einem Teller Spaghetti Bolognese, der zusammen mit einem Glas Rotwein Claras Seele wenigstens ein klein wenig aufmunterte, kam sie todmüde gegen zehn zu Hause an. Als sie unten an der Haustür nach ihren Schlüsseln kramte, fielen ihr die kaputte Heizung und der unfähige Herr Manninger wieder ein, und sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass er es dieses eine Mal geschafft hatte, die Angelegenheit ohne große Verzögerung zu regeln. Doch ihre Hoffnung erfüllte sich nicht: An ihrer Wohnungstür klebte ein Zettel, auf dem in dicken, ungelenken Großbuchstaben zu lesen stand: HEIZUNG WIRD MORGEN IN DER FRÜH REPARIERT!
    »Na, fantastisch! Da kann ich gleich ins Bett gehen«, grummelte Clara und sperrte auf. Auf dem Boden in ihrem Flur lag ein Brief, offenbar unter der Tür durchgeschoben. Clara hob ihn auf, während sie eintrat und ihre Anwaltstasche in die Ecke pfefferte. Auf dem Brief stand nur ihr Name in Druckbuchstaben, und er war ohne Absender. Clara drehte ihn ein paar Mal hin und her und öffnete ihn dann. Als sie das Blatt Papier herauszog und überflog, begriff sie zunächst nicht, was das sollte. Ihr Gehirn weigerte sich, die Informationen aufzunehmen, die ihm da übermittelt wurden. Doch es war nur ein kurzer Aufschub, der das Begreifen danach nur noch
entsetzlicher machte: Clara hielt eine Todesanzeige in den Händen. Ihre eigene Todesanzeige:
    Niemand trauert
um
     
    Clara Niklas
     
»Mein Herz zittert, Grauen hat mich betäubt; ich habe in der lieben Nacht keine Ruhe davor.«
    Jes. 21,4
    Sie ließ das Papier fallen. Dort lag es wie etwas Giftiges, Böses, und ihr Name stach daraus hervor. Sie versuchte ein Lachen. »Was für ein Blödsinn …«, doch die Worte kamen so leise und brüchig heraus, dass sie sie selbst nicht

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