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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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können sich an sie erinnern?«
    »Ja, ich glaub’ schon.« Er runzelte die Stirn und gab ihr das Foto zurück. »Im letzten Winter, da hatten wir einen recht denkwürdigen Abend, deshalb erinnere ich mich auch daran. Wir hatten hier jahrelang einen Stammgast, der kam regelmäßig, und jeder kannte ihn, weil er so ein komischer Vogel war. Wenn er mittags kam, hat er immer das Gleiche gegessen, ein paar Wiener und Kartoffelsalat, immer nur Wiener mit Kartoffelsalat, ganz ordentlich mit Messer und Gabel, und dazu ein Mineralwasser mit Zitrone. Abends saß er dann immer da drüben im Eck.« Er deutete auf den Tisch rechts neben der Tür. »Immer mit dem Rücken zur Wand und ganz kerzengrad. Dann hat er zwei Halbe Bier getrunken und ist wieder gegangen. Vor ein paar Jahren sind wir draufgekommen, dass er Ziehharmonika spielt, und weil wir eine dahaben, haben wir ihn überredet, ein bissl für uns aufzuspielen.« Er verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen, was es noch furchterregender erscheinen ließ. »Da ist er richtig aufgetaut.«
    Er trank sein Bier aus, verharrte einen Augenblick lang in Gedanken bei seinem leeren Glas und sah Clara dann fast drängend an. »Wollen S’ nicht doch lieber ein Bier?«
    Clara gab nach. Es schien eine etwas längere Geschichte zu werden. »Na gut, aber wirklich nur einen Schnitt.«
    Der Wirt nickte zufrieden und ließ einen kräftigen Strahl Schaum in das Glas schießen, der sich dann langsam von unten her zu einem Bier verdichtete. Bei seinem Glas wiederholte er das Ganze.
    »Er hat gut spielen können, das muss man ihm lassen.
Nicht nur so humtata , humtata . Er hat Tangos gespielt und französische Walzer und alles Mögliche.« Er machte eine Bewegung mit den Armen, als ob er Akkordeon spielen wollte, und versank in Gedanken.
    Clara übte sich in Geduld.
    Endlich sprach er weiter. »Eine Zeit lang hat er fast jede Woche bei uns aufg’spielt. Den Leuten hat das gefallen. Manche sind extra wegen ihm gekommen. Er wollte auch nix dafür haben. Nur seine zwei Halbe Bier, auf die habe ich ihn einladen dürfen.« Er nickte, und wie zur Rechtfertigung fügte er noch hinzu: »Ich hätte ihm schon was bezahlt oder ein gescheites Essen ausgegeben, aber das wollte er nicht. War halt ein komischer Vogel, der Papa Joke.«
    Clara versuchte, ihn zum eigentlichen Gegenstand des Interesses zurückzuführen: »Und dann war sein Geburtstag, sagten Sie? Der Abend, an dem Gerlinde Ostmann auch da war?«
    »Wie, sagen Sie, hieß die Frau?«
    »Gerlinde. Gerlinde Ostmann.«
    »Sie sagte, glaub’ ich, sie heißt Gerda. Und sie hat einen Blumenstrauß dabeigehabt, genau wie Sie gesagt haben. Er war schon ein bissl matt, aber ganz schön groß. So ein Strauß, den man jemandem schenkt, wenn einem sonst nix Besseres einfällt. Keine Rosen oder so was Romantisches. Am Ende hat sie ihn auch einfach am Tisch liegen lassen.«
    Clara spürte, wie die Erregung in ihr stieg: Es schien, als habe sie Gerlinde Ostmann tatsächlich gefunden. »Und dann?«, fragte sie, und ihre Stimme war vor Aufregung ganz heiser.
    »Ja, also ich weiß nicht, wie wir darauf gekommen sind, aber irgendwann an dem Abend hat Papa Joke erzählt, dass heute sein Geburtstag ist. Oder vielleicht hatte er es schon
früher einmal erzählt, und jemand vom Stammtisch hat sich erinnert …« Er sah Clara nachdenklich an und kratzte sich erneut am Kinn. »Na, egal, jedenfalls habe ich eine Runde für ihn und den Stammtisch ausgegeben. Und dann hat noch einer ein Runde ausgegeben, und dann er selbst, und so ist das weitergegangen. Es wurde ganz schön gesoffen an dem Abend. Und er, er hat auch einiges mehr intus gehabt als seine üblichen zwei Halbe. Aber ihm hat das mal ganz gut getan, würde ich sagen.« Er verzog den Mund wieder zu seinem schiefen Grinsen. »Ist viel fröhlicher geworden. Hat fetzige Sachen gespielt. Und dann, dann ist diese Frau gekommen.«
    Er deutete auf das Foto, und sein Grinsen erstarb abrupt. »Ganz blass war die und hat verheult ausgesehen. Sie hat sich an den einzig freien Platz gesetzt, da, neben der Tür zum Abort, und einen doppelten Kognak bestellt. Und danach gleich noch einen. Die war richtig schlecht drauf.« Er trank einen kräftigen Schluck und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. »Der Waggi und der Oscho vom Stammtisch haben sie dann angesprochen und gefragt, ob sie sich nicht dazusetzen will. Zuerst wollte sie nicht, aber dann ist sie doch gekommen.«
    Er verstummte, und sein Blick wanderte zu

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