Seelengift
leere Bierglas zurück zum Tresen.
Als sie ihren Geldbeutel zückte, winkte der Wirt ab. »Das passt schon.«
»Danke. Wann kommen denn die Herren vom Stammtisch?«
Er sah auf die Uhr an der Wand, als stünde dort der Wochentag geschrieben. »Immer am Donnerstag, so ab sieben.«
Als Clara das Wirtshaus verließ und endlich in Richtung U-Bahn marschierte, kehrte ihre anfängliche Begeisterung über ihren »Ermittlungserfolg« zurück. Es war hundert Prozent mehr, als sie zuvor gehabt hatten: Sie wussten jetzt, wo und mit wem Gerlinde Ostmann ihren letzten Abend verbracht hatte und mit wem sie weggegangen war. Auch wenn der Name noch fehlte, sie würden diesen Mann ausfindig machen. Gruber und sie mussten mit den Kollegen im Präsidium reden, die hatten schließlich Mittel und Wege, so etwas herauszufinden …
Ihr forscher Schritt stockte etwas, als ihr Sabine Sommer einfiel. Würde sie dieser Spur wirklich mit der notwendigen
Konsequenz nachgehen? Sie musste! Es war schließlich ein vollkommen neuer Hinweis, und er konnte Gruber entlasten. Clara drängte ihre Zweifel, so gut es ging, in den Hintergrund und lief mit Elise die Treppe zur U-Bahn hinunter. Es würde in jedem Fall nicht schaden, wenn sie sich am Donnerstag selbst mit diesen Stammtischbrüdern unterhielt.
FÜNFZEHN
In der Kanzlei herrschte dicke Luft. Clara sah es bereits an der Art, wie Linda von ihrer Schreibarbeit zu ihr hochsah, als sie zur Tür hereinkam. Noch im Mantel ging Clara auf sie zu. »Linda«, begann sie, ohne zu zögern, »es tut mir sehr leid, was ich heute Morgen gesagt habe, ich ….«
Weiter kam sie nicht. Willi unterbrach sie mit einem scharfen: »Kannst du bitte mal nach oben kommen?« Er stand auf dem Treppenabsatz und hatte die Arme verschränkt. Sein noch immer sonnenverbranntes Gesicht war zu einer finsteren Grimasse verzogen.
»Nach oben? Ins Besprechungszimmer?«, fragte Clara verdutzt. »Aber wieso …?
Doch Willi hatte sich schon umgedreht und stapfte mit unheilvoll festem Schritt die Treppe zur Galerie hinauf.
Clara hängte ihren Mantel auf und warf Linda einen fragenden Blick zu, doch sie wich ihr aus. Achselzuckend gehorchte Clara, umrundete vorsichtig Elise, die bereits vor dem Ofen lag, alle viere von sich gestreckt, und folgte Willi nach oben.
Er hatte sich nicht hingesetzt, erwartete sie mit noch immer verschränkten Armen und grimmigem Gesichtsausdruck.
»Was …«, begann Clara, doch der sonst so bedächtige Willi schnitt ihr rüde das Wort ab.
»Sag mal, spinnst du jetzt komplett? Spazierst einfach in
der Stadt herum, nur weil du schlechte Laune hast, und lässt uns hier sitzen, ohne ein einziges Wort zu sagen? Schon mal was von Telefon gehört?«
Claras Hand tastete unwillkürlich nach dem kleinen Klapphandy in ihrer Manteltasche, das sich dort noch immer wie ein Fremdkörper anfühlte, seit ihr Sohn Sean es ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. Clara hatte sich aus Sturheit, Trotz und einer gehörigen Portion archaischer Technikverweigerung, die sie trotz Computer und Internet nie ganz hatte ablegen können, bisher standhaft geweigert, sich eines dieser Dinger anzuschaffen. Und dann bekam sie Seans Weihnachtsgeschenk. Mittlerweile musste sie sogar widerstrebend zugeben, dass es nicht ganz unpraktisch war. Oder besser gesagt, nicht ganz unpraktisch wäre, wenn es nicht immer dann, wenn es darauf ankam, entweder unauffindbar wäre, der Akku sich auf geheimnisvolle Weise entleert hätte oder sie es wie heute Vormittag aus Unachtsamkeit gar nicht erst eingeschaltet hätte. Doch sie dachte nicht im Traum daran, das so einfach zuzugeben. Stattdessen funkelte sie Willi wütend an: »Geht’s noch? Wie redest du denn mit mir? Seit wann muss ich mich bei dir abmelden?«
»Den ganzen Vormittag hat das Telefon für dich geklingelt, und um eins kam eine Mandantin von dir, ganz aufgelöst, mit einem blauen Auge, das ihr Mann ihr verpasst hat, und wollte dich unbedingt sprechen. Wir konnten ihr nicht mal sagen, wann du gnädigerweise wieder erreichbar sein wirst.«
»Was für eine Mandantin?«, wollte Clara erschrocken wissen.
»Keine Ahnung. Eine Ausländerin. Sie wollte mir ihren Namen nicht nennen. Wollte nur mit dir sprechen. Aber du warst ja nicht da!«
Clara biss sich auf die Lippen. »Das war Frau Erez.« Sie hatte
ihr geholfen, sich von ihrem gewalttätigen Mann zu trennen, und sie zusammen mit ihren beiden Kindern in einer Nacht- und Nebelaktion im Frauenhaus untergebracht.
»Was ist passiert? Hat
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