SEELENGOLD - Die Chroniken der Akkadier (Gesamtausgabe)
darüber nachdenken. „Nein, Mum. Nein. Das werde ich nicht …“
„Glaub mir, es wird sehr bald etwas Wundervolles geschehen – ich habe es gesehen, meine kleine Selene, du wirst so glücklich sein. Vertraue einfach auf das Schicksal! Hörst du? Eines Tages wird deine Geschichte beginnen, wird deine Zukunft beginnen, und ich weiß, dass sie wundervoll wird. Du wirst stark sein, noch stärker als jetzt, hörst du? Du darfst nur … niemals aufgeben. Ja? Selene?“
Was sollte sie schon sagen? „Ja, Mum. Ist gut.“ Die Worte klangen selbst in ihren Ohren hölzern.
„Versprichst du es mir?“
„Ja, ich verspreche es.“ Sie versuchte zu lächeln, doch ihre Stimme zitterte unweigerlich.
„Ich hab dich lieb, meine Kleine.“
„Ich hab dich auch lieb, Mum!“
Selene starrte in die leere Tasse.
Sie hatte glauben wollen, dass es für sie eine glückliche Zukunft gab, dass etwas geschehen könnte, etwas Richtiges. Aber so, wie sie sich heute fühlte, war jegliche Hoffnung verloren. Wie sollte so etwas auch möglich sein? Das war Unsinn gewesen und sie hätte es wissen müssen. Ihre Mutter war fortgegangen, hatte sie allein gelassen und Selene verspürte nicht den leisesten Schimmer von Glück …
Ein Bild huschte durch ihre Gedanken.
Da war etwas gewesen. Etwas, das sie vergessen hatte?
Ein Schatten?
Wärme flimmerte in ihrer Brust auf. Irgendetwas war passiert. Doch sie konnte sich nicht erinnern. Die Türklingel riss Selene aus ihrer Trance. Sie schleppte sich durch den Flur und öffnete. Julia.
Ihre Freundin hatte diese besondere Art zu lächeln. Es war ansteckend, wenngleich man wusste, dass das eigene Lächeln nie so charmant wirken könnte. „Du siehst schrecklich aus.“ Und sie war absolut ungalant in ihrer Ehrlichkeit.
„Ich freu mich auch, dich zu sehen“, antwortete Selene mit einem schiefen Lächeln und ließ sie hinein.
Die Art, wie Julia ging, zeigte sofort, dass sie jemand Besonderes war. Auf faszinierende Weise strahlte sie eine Abnormität aus, die jeden in ihrer Umgebung bannte. Sie passte nicht in diese Welt. Doch Selene fühlte sich bei ihr geborgen. Julia hatte Selenes Wunsch akzeptiert, sie nicht zur Beerdigung zu begleiten. Jede andere Freundin hätte darauf bestanden, ihr beizustehen, sie festzuhalten, ihre Tränen wegzuwischen. Aber nicht Julia. Sie verstand es, verstand Selene und ihren wirren Kopf, verstand, dass sie es nicht ertragen hätte, jemanden bei sich zu haben. Weil sie das allein durchstehen wollte.
„Wie geht’s dir?“, fragte sie vorsichtig.
Selene schaute zur Seite und gestand sich selbst etwas ein.„Es … ist kein bisschen besser geworden.“
„Das braucht Zeit, Süße.“
„Ich weiß“, nickte sie.„ Ich dachte nur, die Last würde nach … der Beerdigung irgendwie abnehmen.“
Julia streichelte Selenes Oberarm, und sie machte den Fehler, ihrer Freundin in die warmen Augen zu schauen. Unweigerlich bildete sich ein schwerer Kloß in ihrer Kehle.Das war genug. Mehr Berührung ertrug sie nicht.
Als Selene sich zurückzog, nahm Julias Gesicht einen gequälten Ausdruck an.„Du hast noch nicht geweint?“
„Nein.“ Und sie würde es so weit wie möglich hinauszögern. Sie hatte Angst, nicht mehr aufhören zu können, wenn sie erst damit begann. In ihr hatte sich etwas angesammelt, das mit jedem Tag schwerer wurde, sie tiefer nach unten zog. Und sie war noch nicht bereit, es freizulassen.
Julia machte Anstalten, die Arme um Selene zu legen. Sie wusste, was ihre Freundin damit erreichen wollte, schüttelte unweigerlich den Kopf und wehrte ab. Ich bin noch nicht soweit!
Aus irgendeinem Grund konnte Julia gut mit dem Tod umgehen. Warum das so war, hatte sie nie erzählt.
„Ach Süße“, druckste sieund schien zu überlegen, was sie tun könnte, gab dann aber auf. „Okay, dann mach ich uns erst mal einen Kaffee.“
Julia schob Selene auf den Küchenstuhl am Fenster und widmete sich der Kaffeemaschine.
Das Angenehme an ihrer Freundschaft war, dass auch den stillen Momenten eine tiefe Verbundenheit innewohnte. Sie brauchten nicht über Banalitäten zu diskutieren oder händeringend nach Themen zu suchen, um die Ruhe zu überbrücken. Selene genügte es bereits, Julia bei sich zu haben. All die Unruhe in ihrer Mitte gewann eine gewisse Ordnung, wenn ihre Freundin in der Nähe war.
„Hast du schon ’was gegessen?“, fragte Julia über ihre Schulter hinweg, ohne eine Antwort abzuwarten.„Sicherlich nicht. Ich mach auch gleich mal
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