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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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seine nächsten Worte überlegen konnte, flog er durchs Gebüsch und prallte so hart an einem Baum ab, dass er in einem Beerenstrauch landete. Nachdem er sich aufgerappelt hatte, erhoben sich jeder Holzsplitter und jedes Blatt im Umkreis von zehn Schritten um ihn herum und verbrannten in der Luft zu schwarzer Asche. Calder schlug sich einen glimmenden Zweig aus dem Gesicht und schrie: »Habt ihr Angst, mit mir zu sprechen?«
    Da erreichte ein Geräusch seine Ohren, das weitaus erschreckender war als jedes Dämonengeheul. Am Fuß des Hügels schrie ein Mädchen.

29.
    C alder stürzte durch den Wald zurück zum Cottage. Wind und Regen machten ihm zu schaffen, doch er war schon den Hügel hinunter, als er erkannte, dass nicht Ana geschrien hatte. Die Vordertür des kleinen Hauses stand offen. Während er über das glitschige Gras auf den umzäunten Hof zurannte, kamen Ana und Alexis aus dem Haus und liefen von Fenster zu Fenster, bis sie ein bestimmtes gefunden hatten. Sie drückten die Gesichter an das Glas und klopften. Beim Näherkommen merkte Calder, wen sie da beobachteten.
    Ein Dienstmädchen hatte sich mit einem etwa zwölfjährigen blonden Jungen in einem der Schlafzimmer verbarrikadiert. Mit jedem Atemzug stieß sie einen Schrei aus, doch Johnnie lächelte den beiden breit zu. Er kam an das Fenster und legte grinsend seine Hand auf die Scheibe. »Meine toten Cousins kommen mich besuchen!«, rief er. »Ich will euch meinen Garten zeigen!« Doch das Dienstmädchen riss ihn zurück und zwang ihn, sich hinzuknien.
    Alexis klopfte ans Fenster. »Wir sind keine Geister!«
    »Wir würden dir nie etwas tun«, rief Ana. »Hab keine Angst, Johnnie.«
    Das Mädchen weinte, und Johnnie wusste nicht, was die Hysterie bedeutete. Er wurde blass, als sie seinen Kopf auf den Boden zwang, und begann zu zittern.
    »Bitte öffne die Tür!«, rief Ana. Zu Alexis sagte sie: »Wer ist diese Frau? Wo ist Lalla?«
    Calder stellte sich hinter sie, der Regen strömte ihm übers Gesicht. Das Mädchen hielt panisch die Hände des Jungen im Gebet zusammen.
    »Lasst uns rein!«, rief Alexis.
    Doch das Mädchen schrie erneut auf und bedeckte die Augen des Jungen.
    »Der Regen«, flüsterte Alexis und zeigte seiner Schwester, dass die Nässe den Puder in Strömen abwusch. Ihre Gesichter glühten wie geisterhafte Kugeln, ebenso wie ihre Hände. Ana trat einen Schritt zurück.
    Als das Dienstmädchen laut zu beten begann, fiel Johnnie auf die Seite und zuckte in Krämpfen.
    »Er hat einen Anfall«, sagte Ana. »Wir müssen Lalla suchen.«
    »Nein.« Alexis nahm die Hand seiner Schwester. »Wir müssen gehen.«
    Sie machte sich frei. »Johnnie braucht uns.«
    »Wir müssen gehen und dürfen nicht wiederkommen«, beharrte Alexis. »Wir tun ihm weh.«
    Ana lehnte sich mit der Stirn ans Fenster und beobachtete sorgenvoll die sich krümmende Gestalt. Dann wirbelte sie herum, drängte sich an Calder vorbei und rannte den Hügel hinauf zum Wald.
    Calder und Alexis folgten ihr. Als sie über das nasse Gras stolperte und sich durch Büsche und Bäume kämpfte, blickte Calder sich nach Zeichen der verlorenen Seelen um. Sie schienen allein zu sein.
    Ana stapfte über die vom Dämonenfeuer verbrannten Blätter, die immer noch qualmten. Calder führte sie am Ellbogen von dem zerstörten Baum weg. Sie weinte ganz offensichtlich nicht nur, weil sie wie ein Monster wirkte und sie ihren Cousin erschreckt hatte. »Ich wollte doch nur am Feuer sitzen, in eine Decke gewickelt, und ihnen erzählen, was uns passiert ist«, schluchzte sie. »Warum durften wir ihn nicht wenigstens umarmen?« All die simplen Dinge hatte man ihr genommen, sie war wieder verloren.
    Sie alle waren verloren, sie waren auf der Flucht, nicht in die Sicherheit. Die dämonische Macht, die ihm auf den Fersen war, würde sie nun wieder alle drei verfolgen. Anas Trauer schmerzte Calder, dennoch freute er sich, die Kinder bei sich zu haben. Sie alle drei waren allein auf der Welt, aber immerhin hatten sie einander.
    Der Regen wurde schwächer und hörte schließlich ganz auf. Ebenso versiegten Anas Tränen. In der schützenden Dunkelheit einer Eichengruppe begann sie zu sprechen und versuchte zu lächeln, doch ihre Augen verrieten sie jedes Mal, wenn sie zu Calder hinüberblickte.
    »Wir können uns ein neues Leben aufbauen«, sagte sie. »Wir können neue Namen annehmen. Der Puder liegt in meiner Tasche. Im Trockenen sind wir sicher.« Sie atmete tief ein, und es klang fast wie ein Schluchzen.

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