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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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zehn Schritt Entfernung.
    »Weißt du«, sagte er, »das Puder kann das Licht nicht lange vor den Augen der Verlorenen verbergen.«
    Calder wurde eiskalt bei dem Ausdruck auf Rasputins Gesicht. »Vater Grigori«, sagte er, und Ana und Alexis drehten sich nach Luft schnappend um, auf der Suche nach dem Geist. »Du musst die Kinder beschützen«, bat Calder. »Sei ihnen ein Freund.«
    »Wenn du schon meinen Körper gestohlen hast«, erwiderte Rasputin ungerührt, »dann übernimm ruhig auch meine Pflichten.«
    »Warum versteckst du dich?«, fragte Calder.
    »Ich wollte zusehen.« Er lehnte sich mit verschränkten Armen an den Baum. »Die Kinder locken eine große Meute an.«
    Calders Magen verkrampfte sich schmerzhaft.
    »Ich will den Jungen wie früher auf den Schultern tragen«, sagte Nagorny. »Doch ich kann es offensichtlich nicht. Ich versuchte, den Stuhl des Jungen mitzubringen, aber sie haben das ganze Haus ausgeräumt und alles verbrannt. Nur noch Asche ist übrig«, sagte er traurig. »Außer das, was nicht brennen wollte.«
    »In Jekaterinburg?«, fragte Calder. »Was hat nicht gebrannt?«
    Nagorny zuckte mit den Schultern. »Metall. Gabeln und Löffel, die Räder vom Stuhl des Jungen.«
    Der Seelenhüter wollte Nagorny am liebsten den Mund verschließen, um ihn am Reden zu hindern. Er packte Ana und Alexis bei den Händen und zog sie Richtung Straße.
Sie haben den Schlüssel weggeworfen,
hatte Nagorny gesagt. Der gesuchte Schlüssel lag also in einem Haufen Asche vor dem Haus zur besonderen Verwendung.
    Nagornys Geist schwebte neben dem Jungen her, doch leider folgte ihnen auch Rasputin.
    »Metalldinge?«, fragte er den Seemann. »War da etwa auch ein Schlüssel an einer Kette dabei?«
    »Sprich nicht mit ihm, Nagorny«, befahl Calder, doch zu spät.
    »Ich dachte erst, es wäre ein Kruzifix«, antwortete Nagorny. »Doch es war nur ein Schlüssel. Die Türen sind alle offen. Man braucht keine Schlüssel mehr.«
    Rasputin surrte grinsend wie eine Fliege davon, zweifellos zurück nach Jekaterinburg, um den Schlüssel zu stehlen. Calder rannte los, die Kinder im Schlepptau, doch was half das schon – der Russe konnte binnen eines Herzschlags nach Russland fliegen. Sie dagegen mussten mühsam über Land und Meer dorthin reisen.
    »Nagorny«, sagte Calder. »Kannst du den Schlüssel vor Vater Grigori holen?«
    »Nein«, erwiderte der Seemann. »Ich kann nichts aus eurer Welt anfassen.«
    Calder hoffte inständig, dass Rasputin vor dieselben Schwierigkeiten gestellt würde, doch was, wenn er mittlerweile genug Macht hatte, um den Schlüssel benutzen zu können? Würde eine Tür für ihn erscheinen und damit das kurzzeitige Portal zwischen den Welten? Und wenn er aus dem Land der verlorenen Seelen ausbräche, wen oder was würde er dann mitbringen? Welche Schrecken würden sie auf ihrem Weg durch die Welt der Lebenden verbreiten?

30.
    A uch wenn Nagorny als Beschützer neben Alexis herschwebte, wusste Calder, dass die Kinder nicht sicher waren. Der dunkle Nebel, der um Rasputin herum in der Luft gehangen hatte, begleitete sie immer noch und mit ihm sein Gestank nach verbrannten Knochen und Fell sowie grollende und peitschende Sturmwolken. Tief im Wald hörte Calder die Bäume rauschen und den Schrei eines verwundeten Vogels. Er führte sie zurück zur Straße. Als sie nach Süden Richtung Bahnhof gingen, bedeutete er Nagorny, zu ihm zu schweben.
    »Wir brauchen Hilfe«, flüsterte er dem Seemann zu. Nagorny zeigte keine Reaktion, doch er nickte, als Calder fragte: »Glaubst du, du könntest unsere Verfolger für eine Weile von uns weglocken? Wenn wir sie abhängen könnten, wäre ich dir überaus dankbar.«
    »Ich werde sie ablenken«, flüsterte Nagorny, »aber Sie müssen für mich auf die beiden Kinder aufpassen.«
    »Das werde ich.« Ohne zu zögern, erhob sich Nagornys Geist wie ein Papierdrachen im warmen Wind und verschwand. Der Rauchgeruch löste sich auf, der Himmel kam zur Ruhe.
    Calder wusste nicht, mit welcher List Nagorny die Verlorenen von ihrem Weg abgebracht hatte, aber ihm war vor Erleichterung ganz schwindelig. Sie gingen noch schneller.
    * * *
    Als sie am Fahrkartenschalter in King’s Lynn standen, hörte eine alte Frau mit einem Strohhut, dass sie über Frankreich nach Russland reisen wollten.
    »Das wird nicht funktionieren.« Sie saß auf einer Bank und strickte an einem schwarzen Schal. »Wir befinden uns mit Deutschland im Krieg, wisst ihr.«
    Calder kam sich dumm vor, nicht daran

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