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Seelenkuss

Seelenkuss

Titel: Seelenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
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still darauf, während die Gestalt des Fährmanns der Toten reglos an seinem Heck stand und ihnen entgegensah.
    Ein RónAnór hockte auf den untersten Stufen und ließ ein ungeduldiges Fauchen hören, das von einem bedrohlichen Spannen seiner Schwingen begleitet wurde, als sie zögerten. Mit einem Gefühl bitterer Belustigung stieg Javreen in das Boot und half Rejaan hinein. Eine Geste bedeutete ihnen, sich an den Bug zu setzen, dann stieß KaîRón sein Boot von den Stufen ab und lenkte es schweigend auf den Schwarzen Fluss hinaus.
    An dem lichtlosen Himmel stand der Seelenmond schon beinah in seinem Zenit. Unruhig schloss Javreen die Hände fester um den KonAmàr. Bei dem Gedanken, Ahoren und seinen BôrNadár erneut gegenübertreten zu müssen, rumorte eine vage Angst in seinen Eingeweiden. Und auch wenn es nicht mehr jenes lähmende Grauen war, das zuvor seinen Geist beherrscht und nutzlos gemacht hatte, wurden doch seine Handflächen feucht. Er schreckte zusammen, als Rejaan ihre Hand über seine legte, doch als sie sich warm an ihn schmiegte, gelang es ihm, sich allmählich zu entspannen.
    » Was wirst du tun, wenn Ahoren gebannt ist? « , fragte sie irgendwann leise.
    » Ich werde tun, was mir aufgetragen wurde, und den Orden der DúnAnór wieder aufbauen. « Er beobachtete die Nebelschlieren, die um das Boot herum trieben– und mit jedem seiner Atemzüge dichter zu werden schienen.
    » Glaubst du, du könntest das auch von Kahel aus tun? «
    Das Gefühl, das sie nicht mehr weit vom Ufer entfernt sein konnten, war ganz unvermittelt da. Plötzlich war eine seltsame Unruhe in ihm. Das Verlangen aufzustehen und– ja, wohin?– zu gehen, wurde von Herzschlag zu Herzschlag größer. So, als würde ihn etwas vorwärtsziehen.
    » Javreen? «
    Mühsam riss er den Blick aus dem Nebel los und starrte auf ihre Finger, die sinnlose Schnörkel auf seinen Handrücken malten. In seiner Brust saß ein dumpfes Brennen.
    » Was… was meinst du? « Nur aus dem Augenwinkel glaubte er einen Schatten neben sich zu sehen, der verschwunden war, als er den Blick auf ihn richten wollte. KaîRóns Boot wankte, dann kratzte der Bug über Sand. Nebel schloss sich undurchdringlich um ihn. Er spürte Rejaans Hand nicht mehr auf seiner. Auf seiner Zunge war ein säuerlicher Geschmack. Dann schlug Dunkelheit über ihm zusammen, in der eisige Hände ihn packten, vom Boden hoch und vorwärtszerrten. Er hörte gellende Schreie und der KonAmàr entglitt seinen gefühllosen Fingern.

51
    D ie Schreie steigerten sich zu einem Brüllen, kippten, brachen ab, nur um erneut anzusetzen, von Mal zu Mal gellender. Es fiel Darejan schwer, die Augen zu öffnen. Unter ihren Händen war feiner schwarzer Sand. Benommen stemmte sie sich auf einen Ellbogen, setzte sich halb auf. In ihren Gliedern schien noch die Kälte des Reiches jenseits des KaîKadin zu nisten. Eben noch hatte sie am Bug von KaîRóns Boot gesessen, waren Javreens Hände in ihren gewesen. Sie zuckte zusammen, als ein schier unmenschliches Kreischen durch die Luft schnitt, und fuhr endgültig auf. Die Decke neben ihr war zerwühlt, Javreen fort. Feiner, dünner Nebel floss über die Wände des Felskessels, sodass sie für einen kurzen Moment das Gefühl hatte, noch immer nicht ins Reich der Lebenden zurückgekehrt zu sein. Doch nur ein kleines Stück von ihr entfernt glühten die Reste des Feuers, das sie hier entzündet hatten– gerade noch hell genug, um die Gestalten darum erkennen zu können. Ihre Kehle wurde eng. Nur ein paar Schritt von ihr entfernt, lag Mirija am Boden. Die weit aufgerissenen Augen der jungen Frau starrten voller Angst und Wahnsinn ins Leere. Wie graue Schatten ragten zwei BôrNadár vor dem Nachthimmel auf. Einer hielt bei dem schmalen Felsdurchbruch Wache, hinter dem es zu der halbrunden Bucht ging, der andere wartete an der Seite seines Herrn auf Befehle. Selorans Körper war vornübergebeugt. Das tiefrote Seidengewand schlotterte viel zu weit um die dürren Glieder einer Greisin. Wieder erklang jenes entsetzliche Kreischen, und plötzlich begriff Darejan, was es zu bedeuten hatte. Sie kam auf die Füße, stolperte zu den Felsen, hinter denen sich die Bucht öffnete. Niemand hielt sie auf. Schatten bewegten sich dort unten. Knöcheltief schienen sie im schwarzen Wasser zu stehen. Ein dünner Nebelschleier lag darüber. Wann immer er sich für einen Augenblick öffnete, schimmerte es im Licht des Seelenmondes wie Blut. Darejan erkannte vier der BôrNadár und

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