Seelenkuss
hinunter verschwand.
Einige Herzschläge konnte Darejan nicht den Blick von Réfens leichenfahlen, leblosen Zügen wenden, dann schüttelte sie das Grauen ab und richtete sich auf die Knie auf. » Réf! Sieh mich an. Bitte! Ich bin es, Darejan. « Es gelang ihr kaum, das Zittern in ihrer Stimme zu beherrschen.
Seine Augen waren eingesunken und glühten, von einer grausamen Macht erfüllt, dunkel und unheimlich in ihren Höhlen. Selbst auf die wenigen Schritt Entfernung sah Darejan, dass kein Leben in ihnen war. Dennoch war sie nicht bereit aufzugeben. Unten in der Bucht hatte ein leiser Gesang eingesetzt. Die gleichen Worte hatte sie schon einmal aus Selorans Mund gehört. Ein gellender Schrei schnitt durch die Nacht. » Réf, du musst mir helfen! Bitte! « , drängte sie und stand langsam auf. Ihre Stimme schwankte stärker als zuvor. Seine Miene blieb leer. Der Schrei steigerte sich zu einem heiseren Brüllen, das sich mit dem immer lauter werdenden Gesang vermischte. Sie machte einen Schritt auf ihn zu. » Hilf mir! « , flehte sie erneut. Ohne ein Wort kam er auf sie zu, packte sie und stieß sie wieder in den Sand. Weder in seinen Augen noch in seinen Zügen hatte sich etwas geregt.
Beinah im gleichen Moment klang ein schauerliches Heulen vom Wasser herauf, unmenschlich und zerrissen. Der Laut brach so jäh ab, dass ihr die darauffolgende Stille umso grausamer erschien. Auch der Gesang war schlagartig verstummt. Für mehrere Herzschläge waren nur Darejans gepresste Atemzüge zu hören, dann näherten sich Schritte von der Bucht herauf. Gleich darauf erschienen Schatten zwischen den Felsen und Javreen passierte den Durchbruch. Sein Hemd war halb heruntergerissen. Das schwarze Wasser des Sees hatte seine Stiefel durchweicht. In seinen Armen trug er das, was Ahoren von Selorans Körper übrig gelassen hatte. Für einen Augenblick war da die verrückte Hoffnung, dass er es irgendwie geschafft hatte, Ahoren und seinen BôrNadár zu entkommen und der dunklen Magie zu entgehen. Doch als sie seinem Blick begegnete, wusste sie, dass dem nicht so war. Aus seinen Augen war jede Wärme gewichen. Ahoren hatte bekommen, was er die ganze Zeit über gewollt hatte. Hinter ihm traten die übrigen fünf Grauen Krieger zwischen den Felsen hervor und verteilten sich schweigend in dem kleinen Kessel. Er ließ Seloran wie ein Bündel Lumpen achtlos zu Boden fallen und ging zu Mirija hinüber. Ihre Schwester atmete, doch ihre Augen waren die einer Toten. Glitzernd rann Speichel aus ihrem Mund. Darejan tastete nach der Schuppe unter ihrem Hemd, während sie Selorans Seele im Stillen versprach, sie zurückzuholen. Ein hohes Greinen ließ sie zu Mirija schauen. Javreen hatte sich neben sie gekniet. Doch erst als er sich über die junge Frau beugte, fiel Darejan auf, wie schwerfällig er sich bewegte, und sie begriff unversehens, was er vorhatte.
» Nein! « Sie wollte aufstehen, doch einer der BôrNadár legte die Hand auf ihre Schulter und hielt sie fest. Schaudernd versuchte sie, sich seinem Griff zu entziehen, doch er gab sie erst frei, als Javreen es ihm mit einer Geste befahl.
» Du bist doch nicht etwa eifersüchtig, meine Liebe? « Das Lächeln, mit dem er sie bedachte, war voll böser Arroganz. » Gedulde dich noch einen Moment, dann bin ich wieder bei Kräften und meine ganze Aufmerksamkeit gehört nur dir allein. «
Darejan konnte nur trocken schlucken. Wie gelähmt beobachtete sie, wie er eine Hand grob in Mirijas Haar versenkte und die junge Frau dann in die Höhe zog. Ihre schwache Gegenwehr beachtete er gar nicht, während er den Mund auf ihren presste. Und wie schon einmal begann sie zu schreien. Ihr Körper verkrampfte sich zitternd in seinem Griff. Seine Lippen erstickten ihre Schreie, sogen sie beinah ebenso gierig ein wie ihre keuchenden Atemzüge. Dann wurden Mirijas Augen glasig, ihre Schreie zu einem röchelnden Stöhnen. Die Hände, die sie gegen seine Brust gepresst hatte, erschlafften und fielen herab. Noch ehe Ahoren sich von ihr löste und sie einen Blick auf das verzerrte Gesicht der jungen Frau werfen konnte, wusste Darejan, dass Mirija tot war. Die Leiche noch immer halb im Arm drehte er sich mit der Geschmeidigkeit eines Raubtieres zu ihr um. In seinen Augen stand eine Gier, die sie schaudern ließ. Langsam stand er auf. Mirijas lebloser Körper fiel verdreht in den Sand, ohne dass er ihm auch nur einen zweiten Blick gegönnt hatte.
» Und nun zu dir, meine Liebe « , gurrte er dunkel und kam auf sie
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