Seelenkuss
Bewusstlosigkeit zurück, in der er nichts anderes spürte als die Qual, die das Gift durch seine Eingeweide und Glieder treibt.
Es ist pure Agonie, die ihn zurückholt. Er liegt rücklings über einem Felsen. Die Höhle wird von Fackeln in unstetes Licht getaucht. Schatten huschen über uralte Runen an den Wänden. Cjar ist hinter ihm. Wütend und verzweifelt. Seine Schwingen sind gefesselt, ebenso seine Beine. Seine eigenen Fesseln sind gelöst, doch die Söldner halten ihn nieder. Eine schlanke Korun beugt sich über ihn. Ihre Haut ist wie poliertes Perlmutt. Elegante Wangenknochen verleihen ihren Zügen eine betörende Anmut. Ihre Augen sind dunkelblau schillernd, und sie starren durch ihn hindurch, wie die einer Schlafwandlerin. Durch den Schmerz hindurch begreift der DúnAnór in ihm, dass sie mehr auch nicht ist. Für eine Seele wie Ahoren ist es leicht, einen Körper für eine kurze Frist zu seinem zu machen, während Geist und Seele des eigentlichen Besitzers in tiefem Schlummer lagen. In der Hand der Frau glänzt ein Dolch. Blut rinnt über seinen Bauch, aus einem Schnitt, der quer über seine linke Brust verläuft. Ein Schnitt, der die Rune über seinem Herzen zerteilt hat. Sie streicht mit den Fingern über seine Rippen und murmelt mit rauer, verzerrter Stimme ein Wort, das ihn sich in blanker Agonie auf dem Fels winden und aus voller Kehle brüllen lässt. Zuerst klammert er sich noch an seinen Körper, doch irgendwann löscht der Schmerz sein Denken, lässt ihn vergessen, wer er ist. Die Pein treibt ihn aus seinem Körper, jedes Mal ein wenig länger. Sie lässt nichts anderes zu außer Qual und Grauen. Und jedes Mal ist da das vertraute Willkommen einer anderen Seele, die ihn in ihren Körper zieht. Das Gefühl unendlichen Bedauerns. Eine Kraft, die seine eigene nährt, die so entsetzlich schnell schwindet wie Schnee an einem Sommertag. » Bruder … « Ein Teil seiner Seele und doch nicht seine. Um ihn her ist ein dunkler Singsang. Zischeln und Gelächter mischen sich mit ihm. Die Frau hält zwei Hälften eines ockernen Edelsteins über ihn. Fügt sie zusammen. Ein Schatten hängt unvermittelt an ihnen. Streckt sich nach ihm aus. Dieses Mal ist es der Stein, der über seine Brust streicht. Alles verschlingende Agonie löscht sein Denken und sein Wesen aus. Seine Seele flieht. Sein Schrei entringt sich einer anderen Kehle. Ein Dolch glänzt im Fackellicht in der Hand eines Söldners.
Ein gellendes » Nein! « vom Eingang der Höhle her. Er erkennt Rejaan im gleichen Moment, in dem Schmerz durch seinen Hals fährt, der Cjars Hals ist, und ihn in zähes Grau schleudert, sieht gerade noch, wie sie die Arme emporreißt, während der Schatten schon nach seinem reglos über den Stein gestreckten Körper greift. Ein Grollen lässt die Höhle erbeben. Magie fegt durch sie hindurch. Rejaans Magie.
» Der Wind mit dir, Bruder. « Die Worte sind nur ein verwehtes Flüstern. Nebel schließt sich um ihn. Ein Stoß zwingt ihn zurück in den Schmerz. Gleißendes Licht schlägt ihm entgegen. Rejaans Magie zerreißt ihn. Stößt einen Teil von ihm in den Nebel. Wütendes Heulen hallt unter dem Berg und wird zu Gelächter. Etwas in ihm bricht und vergeht. » Bruder … Nein! «
» Nein! « Erneut bäumte er sich auf. Grauen und Angst spritzten um ihn empor, wie Wasser an einem Felsen aufgischtet. Er kämpfte sich an die Oberfläche. » Rejaan, nein! Tu’s nicht! « Plötzlich waren seine Hände frei. Taumelnd kam er auf die Beine. Die grauen Gestalten wichen knurrend vor ihm zurück, nur um gleich wieder auf ihn einzudringen. Angst rann seinen Nacken hinab, machte seine Atemzüge keuchend und mühsam. Er schloss die Augen, zwang seine Gedanken fort von der Angst, zu dem Gefühl des Windes auf seinem Gesicht, wenn er und Cjar über die Ebenen und Wälder geglitten und Hirschrudel erschrocken unter ihnen davongestoben waren. Die Gesänge und das Gelächter in seiner Geshreen, nachdem sein Großvater und sein Vater ihm die Edelsteintätowierungen eines KâlTeiréen gegeben hatten. Die Wärme eines Feuers auf seiner Haut und das Gefühl von Cjars Gefieder in seinem Rücken. Er hieß die Erinnerungen und den leisen Schmerz, den sie mit sich brachten, willkommen, ließ ihn zu. Dann öffnete er zugleich mit seinen Augen auch seinen Geist für jeden anderen Schmerz und hieß auch ihn willkommen, gestattete ihm, seinen Geist zu durchdringen und zu einem Teil von ihm zu werden. Unabänderlich verwoben mit seinem
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