Seelenkuss
an.
» Leg deine… Hände über… meine. Und wenn… es so weit ist,… hilf mir mit… deiner Magie. «
Sie gehorchte stumm. Seine Hände waren eiskalt.
Er senkte den Kopf, als sammlte er seine letzten Kräfte. Seine Atemzüge kamen flach und jeder einzelne schien ihm mehr Schmerz zu bereiten als der vorhergehende. Und dennoch begann er nach einem Augenblick zu singen. Worte und Silben, die Darejan nicht verstand, dunkel und bedrohlich. Die Töne hatten nichts mit jenen gemein, mit denen er die Seele des Mädchens aus dem Schleier gerufen oder Ayina und ihrem toten Gemahl Frieden gegeben hatte. Sie riefen eine grauenvolle Macht, die jenseits dessen lag, was Darejan kannte. Die Schwäche war aus seiner Stimme gewichen, obwohl jeder Atemzug seine Züge verzerrte. Außerhalb des Bannkreises war Bewegung in die BôrNadár gekommen. Sie schlichen knurrend und zähnefletschend um ihn herum wie hungrige Wölfe. Unter der Schwertspitze begann der KonAmàr zu schimmern, dann zu glühen. Mit jedem Wort, das über Javreens Lippen kam, wurde sein Licht heller, bis es ein ockerdunkles Gleißen war. Das lautlose Kreischen war wieder in der Luft. Das Heulen einer Seele, die sich ein letztes Mal dagegen wehrte, erneut in ihr Gefängnis gebannt zu werden.
Javreens Gesang brach, Darejan merkte, wie sein Zittern sich verstärkte. Sie schloss ihre Hände fester über seine, zwang das, was sie von ihrer unwilligen Magie erreichen konnte, aus ihrem Inneren empor und ließ sie durch ihre Berührung fließen. Seine Stimme wurde wieder fester. Für den Bruchteil eines Lidschlags sah er sie an, dann stieß er die Klinge mit seinem ganzen Gewicht in das Gleißen hinab. Die Spitze des Schwertes glitt durch den Stein, als wäre er aus Wachs, und grub sich durch den Sand in den Felsen darunter. Schmerz brandete durch Darejans Glieder, als ihre Magie wieder versiegte. Der KonAmàr lag in zwei Hälften geteilt zu beiden Seiten der Klinge. Sein Licht erlosch. Das Kreischen war verstummt. Javreen brach zusammen. Mit einem Schrei sprang Darejan vor, fing ihn auf, glitt mit ihm zusammen zu Boden. Sie war blind für den Sturm aus Nebel und Schatten, der außerhalb des Bannkreises losbrach. Für das Jaulen und Heulen der BôrNadár, deren Leiber sich krümmten. Für die Schemen, die sich wimmernd und kreischend aus ihren Körpern lösten und mit verzerrten Fratzen gegen den Bannkreis stürmten. Für sie zählte nur Javreen. Schlaff lag sein Körper halb über ihrem Schoß. Sein Kopf ruhte schwer in ihrer Armbeuge. Sie barg ihn an ihrer Brust, rief wieder und wieder seinen Namen, während der Sturm aus Nebel und Schatten jenseits des Bannkreises weiter wütete, bis er allmählich verebbte. Darejan hielt ihn verzweifelt fest, während seine Glieder immer schwerer wurden. » Bitte nicht! « , flehte sie schluchzend, obwohl sie wusste, dass es sinnlos war.
Dann ein langsamer Atemzug und ein langes, langes Ausatmen.
Auf das nichts mehr folgte.
Schweigend stand er außerhalb des Bannkreises und sah sie an.
Ein Schatten nur.
Fahler Nebel war um ihn her, füllte den Felskessel.
Der Sturm hatte sich gelegt.
Ein halbes, trauriges Lächeln glitt über seinen Mund.
Seine Lippen formten lautlos drei Worte.
Darejan zog seinen leblosen Körper enger an sich, sein Kopf hing schwer über ihren Arm herab.
» Ich liebe dich. « Sie streckte die Hand nach ihm aus. Wie zur Antwort hob er seine. Schatten traten hinter ihm aus dem Nebel. Die Seelen jener, die Ahoren in den Schleier gestoßen hatte, obwohl sie noch am Leben waren. Ohne den Blick von ihr zu nehmen, hob er den Kopf, schien auf etwas zu lauschen. Ein weiterer Schatten löste sich aus dem Nebel, blieb an seinem Rand stehen. Mächtige, silberne Schwingen entfalteten sich leicht. Der Adlerkopf neigte sich in einem stummen Gruß. Sein Lächeln änderte sich, ein Teil der Trauer wich daraus. Darejan schluchzte auf. Der Nebel streckte sich nach ihm aus. Er hob die Hand in einem stummen Abschiedsgruß, entfernte sich Schritt für Schritt rückwärts in das fahle Schimmern hinein, ohne seine Augen aus ihren zu lösen. Der Nebel wallte höher. Sie sah noch, wie seine Hand sich auf Cjars Hals legte, dann war da nur noch silbrig bleiches Grau. Darejan lehnte ihre Stirn gegen seine und weinte.
Sie bemerkte nicht, wie die Körper der BôrNadár sich zu regen begannen. Und sie war weit davon entfernt, noch so etwas wie Angst zu empfinden, als Hände sich über ihre legten und sie von Javreen fortziehen
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