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Seelenkuss

Seelenkuss

Titel: Seelenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
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vorgeblich, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen, doch die Kälte, mit der sie ihn anblickte, hatte er noch nie in ihren Augen gesehen. Beinah hätte er tatsächlich glauben können, eine Fremde stünde neben seinem Bett. Er nickte den Männern zu, die in der Wachstube Dienst taten, und stieg langsam weiter die Stufen in den Kerker hinunter. Letztendlich hatte sie nichts anderes getan, als ihm erneut zu befehlen, sich nicht für das zu interessieren, was mit diesem bestimmten Gefangenen geschah. Das unstete Licht seiner Fackel warf huschende Schatten auf die rauen Felswände, in die vor unzähligen Jahresläufen die Verliese des Jisteren-Palastes gehauen worden waren. Er musste sich unter einer fahlen Gesteinsader ducken, und für einen kurzen Moment schien der Boden unter seinen Füßen wegzudriften, nur um dann mit seltsam wellenförmigen Bewegungen zurückzukehren. Halt suchend stemmte er die Hand gegen den Felsen. Die Schwäche nistete noch immer in seinen Gliedern und auch jene seltsame Taubheit wollte nicht aus seinem linken Arm weichen.
    Nachdem Seloran gegangen war, hatte er noch eine Ewigkeit gegen die Decke gestarrt und darüber nachgedacht, was der Grund für ihr seltsames Verhalten sein könnte. Er hatte keine Erklärung gefunden. Doch je länger er gegrübelt hatte, umso mehr hatte sein Entschluss sich gefestigt: Er musste wissen, was im Kerker vor sich ging!
    Mit einer energischen Bewegung stieß er sich von der klammen Mauer ab und stieg die Stufen weiter hinunter. Ein fernes Donnern verriet die steigende Flut, die sich ihren Weg in die verzweigten Kavernen tief unter dem Palastfelsen und der Stadt suchte.
    Der Krieger, der vor der schweren Tür Wache hielt, blickte ihm erstaunt entgegen.
    » Hauptmann?!… Man sagte uns, ihr hättet einen Herzanfall und die Königin hätte euch vorübergehend vom Dienst befreit. «
    » Hat man euch das gesagt? Tatsächlich? Nun, dann bin ich wohl auch nicht hier.– Öffne die Tür, Ledan! «
    Die Augen des Mannes weiteten sich. » Ich verstehe, Hauptmann. « Dann zuckte sein Blick zu den Stufen am Ende des Ganges. » Es kann nicht mehr lange dauern, bis die Grauen hier auftauchen. «
    Réfen nickte knapp und deutete auf die Tür. Schweigend schloss Ledan auf, dann zog er sich ein Stück zur Treppe hin zurück, während Réfen sich in die Zelle hineinduckte. Eisige Kälte schlug ihm entgegen, verwandelte seinen Atem in dampfende Wolken. Er hob die Fackel höher. Selbst in den Wintermonaten hatte sich hier unten noch nie Reif auf den Mauern gebildet. Was bei den Sternen ging hier vor?
    Der Gefangene lag in einer Ecke, Arme und Beine eng an den Leib gezogen, in der Kälte unkontrolliert zitternd. Im Schein der Fackel kauerte sich der Mann mit einem schwachen Ächzen noch weiter zusammen und zuckte zur Mauer hin zurück, als Réfen langsam näher trat.
    Was genau er zu finden erwartete, konnte er nicht sagen. Réfen rammte die Fackel in einen Mauerspalt, drehte den Gefangenen unter dem leisen Klirren seiner Ketten auf den Rücken. Mit einem Stöhnen wich der Mann vor ihm zurück, soweit seine Fesseln es ihm erlaubten, und vergrub den Kopf in den Armen. Réfen ließ den Blick über den von Frostschauern geschüttelten Körper gleiten. Der Kerl war halb erfroren. Sein sandfarbenes Hemd war über der Brust der Länge nach zerrissen und wies ein paar große Blutflecke auf, die wohl mehrere Tage alt sein mussten und die sich auch auf der eng anliegenden Hose aus weichem Leder zeigten, die in hohen Stiefeln steckte. Eine tiefe Linie erschien auf Réfens Stirn, während er sich vorbeugte und den weichen Stoff auseinanderzog. Seit wann ließ man einem Gefangenen Stiefel und Hemd, vor allem, wenn sie tatsächlich, wie es schien, aus dunklem Jindraleder und aus Adeshwolle gemacht sein sollten? Dann hielt er überrascht inne. Was bei den Sternen ging hier vor? Die Schreie des Mannes hatten in der vergangenen Nacht geklungen, als würden die Grauen ihm mit bloßen Händen die Eingeweide aus dem Leib schälen– aber da war nichts! Keine Spuren von Schlägen, keine blauen Flecke oder gar Wunden! Nichts! Nichts außer ockerfarbenen verschlungenen Ornamenten, die die Brust des Mannes zierten und sich auf der vor Kälte bläulichweißen Haut deutlich abzeichneten. Und die nicht danach aussahen, als seien sie ihm erst kürzlich eingestochen worden. Verwundert schaute er auf den Gefangenen hinab. Meeresknechte und zuweilen auch Seehändler ließen sich die Abbilder ihrer Schiffe,

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