Seelenkuss
geschoben, damit die Waffe Platz unter der geborstenen Platte fand. Vorsichtig nahm Darejan sie heraus und drehte sie im Licht. Es war ein schlanker Eineinhalbhänder, dessen etwas zu langer, mit dunklem Leder und gezwirntem Golddraht umwickelter Griff es seinem Träger erlaubte, die Waffe problemlos auch mit beiden Händen zu führen. In den Knauf selbst war ein matt schimmerndes Juwel eingesetzt, in dessen dunklem Ockerton tiefrote Einschlüsse lohten. Zur Klinge hin war die Parierstange leicht gebogen und an den Enden in der Form von Klauen gespalten. Langsam zog sie die Waffe aus der abgegriffenen Scheide. Grau schimmerten ineinander verschlungene Runen in der Blutkehle, hoben sich dunkel vom Rest des glänzenden Stahls ab. Sie fuhr vorsichtig mit den Fingerspitzen über die Klinge. Und stellte erstaunt fest, dass sie geflammt war. Doch die Wellen waren so schwach ausgeprägt, dass man schon sehr genau hinsehen musste, um es erkennen zu können. Und im Gegensatz zu den Schwertern, die sie kannte, hatte sie keine Fehlschärfe, die es ihrem Träger erlaubt hätte, die Klinge direkt unter der Parierstange zu packen und mit dem Heft einem Gegner das Schwert aus der Hand zu hebeln. Warum lag die Waffe unter der geborstenen Steinplatte? Wer hatte sie hier versteckt? Meister Faneren? Nein! Weder an der Scheide noch am Griff hing Staub. Aber wer dann? Seloran? Weshalb sollte ihre Schwester ein Schwert hier verstecken? Es gab keinen Grund für einen solchen Unsinn! Verwirrt ließ sie den Blick noch einmal über die Klinge gleiten, ehe sie sie wieder in ihre Hülle schob und sich abermals vorbeugte, um einen Blick in den Svetibau zu werfen. Auch jetzt zeigte sich keines der Tiere. Vielleicht wegen der dunklen Weinlache, die sich auf dem Boden des Hohlraumes gesammelt hatte? Darejan stand auf, ergriff einige alte Lappen, die auf dem Arbeitstisch lagen, und machte sich daran, die Feuchtigkeit sorgsam aufzuwischen. Ihre Finger streiften kühlen Stoff. Verblüfft legte sie die Tücher fort und hob ein Bündel aus schimmernd schwarzer, golddurchwirkter Seide ans Licht. Der Stoff glitt durch die Bewegung zur Seite, und die Bruchstücke eines Edelsteins kamen zum Vorschein, der ursprünglich wohl knapp faustgroß gewesen sein mochte. Es war die gleiche Art von Stein, wie er auch in den Schwertknauf eingelassen war, doch dieser war vollkommen klar und ohne jeden Makel gewesen. Eines der Bruchstücke rutschte aus der Seide. Es gelang Darejan gerade noch, es aufzufangen, ehe es auf die Steinplatten schlug.
Seloran, die sich über den sich windenden Körper eines Mannes beugte. Seine Züge verborgen in Dunkelheit. Ihre Stimme nur ein heiseres Murmeln. In ihren Händen hielt sie zwei Hälften eines faustgroßen Edelsteins, der in einem tiefen Ockerton makellos erstrahlte. Verschmolz. Ein Schatten erstand aus dem Stein. Senkte sich auf den sich in Agonie hilflos aufbäumenden Mann.
» Nein! « Das Wort verwehte, übertönt von einem Laut wie dem Schrei eines Adlers, geboren aus blanker Qual. Der Mann lag still. Magie brannte in der Luft. Der Edelstein zerbarst. Grausames Gleißen. Der Schatten krümmte sich, kreischte, verblasste in Seloran. Schmerz in ihrem Inneren, der zu Dunkelheit wurde.
Mit einem leisen Klacken schlug das Bruchstück des Juwels auf die Steinplatte. Sie starrte auf die Edelsteinsplitter, plötzlich am ganzen Körper zitternd, ohne sich erinnern zu können warum. Hinter ihrer Stirn war wieder jener seltsame Schmerz, der sie seit einigen Tagen immer wieder peinigte. Ein Schatten huschte über den Boden, unwillkürlich schrie sie auf, prallte zurück. Nur allmählich klärte sich ihr Blick, erkannte sie das Sveti, das sich dicht vor ihr auf die Hinterbeine aufgerichtet hatte und sie aus seinen schwarzen Knopfaugen mit den goldenen Pupillenschlitzen ansah. Seine runden, durchscheinenden Ohren bewegten sich unruhig, der flache, buschige Schwanz wischte hin und her. Es blickte mit zitternden Barthaaren zur Tür. Dann drehte es sich mit einem schrillen, angstvollen Pfeifen um und verschwand in dem Bodenloch. Kälte kroch über Darejans Rücken, ohne dass sie gewusst hätte, weshalb. In fliegender Hast sammelte sie das Bruchstück des Juwels wieder ein, darum bemüht, es mit Hilfe des kostbaren Stoffes kein zweites Mal zu berühren, stopfte das Bündel aus golddurchwirkter Seide und Edelsteinsplittern in den Hohlraum, schob das Schwert hinterher und beeilte sich, die Stücke der Steinplatte wieder an ihren Platz zu
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