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Seelenkuss

Seelenkuss

Titel: Seelenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
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ihnen, deutlicher als zuvor, beinah, als würde sich irgendetwas mühsam aus ihren Tiefen emporkämpfen.
    Unter dem Kratzen der Ketten schob sich die Hand des Mannes langsam über den Steinboden, auf Réfen zu. » Töte mich! « Die Worte waren nicht mehr als ein brüchiges Flüstern, das in Ledans drängendem: » Vergesst den Kerl! Ihr müsst fort, Hauptmann! Die Grauen kommen! « , beinah unterging, und doch richteten sich Réfens Nackenhaare auf. Wie betäubt wehrte er sich nicht dagegen, dass Ledan ihn aus der Zelle zerrte und hastig in eines der benachbarten Verliese schob.– Bei den Sternen: Der Mann hatte den Dolch niemals gegen ihn benutzen wollen. Dann schloss sich eine schwere Tür mit einem dumpfen Laut, und er zuckte zusammen, als beinah im selben Augenblick ein gellender Schrei erklang. Schaudernd starrte Réfen auf seine blutige Handfläche.
    » Hauptmann? « Ledans Stimme ließ ihn aufschauen, dann nickte er, als der Krieger ihm bedeutete, dass er sein Versteck verlassen konnte. Auf dem Gang hielt er inne, blickte einen Moment auf die Tür, hinter der wieder die gleichen schauerlichen Laute erklangen wie in der Nacht zuvor. Ohne auf den Schmerz zu achten, ballte er die Faust. Dies hier war Unrecht und er war inzwischen bereit darauf zu wetten, dass die Königin davon wusste. Es musste aufhören! Aber er konnte nicht nur auf einen Verdacht hin handeln, er brauchte Antworten. Er presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Der Geist des Mannes, der jenseits der Tür unter den Händen der Grauen schrie, bis seine Stimme zerbrach, war so verwirrt, dass er vermutlich noch nicht einmal mehr begreifen würde, was Réfen von ihm wollte. Also konnte er die Antworten nur von Seloran erhalten– oder? Der Gedanke überraschte ihn selbst. Aber vielleicht… Wenn der Mann hinter dieser Tür tatsächlich ein KâlTeiréen war, und wenn das, was man sich erzählte, der Wahrheit entsprach, musste das Geschöpf, mit dem seine Seele sich verbunden hatte, in der Nähe sein. Wenn es ihm gelang, es zu finden, konnte er vielleicht auf diesem Wege die Antworten bekommen, die er brauchte.
    Abrupt wandte er sich ab und stieg die Stufen zur Wachstube hinauf. Wie am Abend zuvor hatten die Männer jede Fackel und jede Kerze angezündet und sich in ihrem Licht um den Tisch geschart. Als er den Raum betrat, wandten sich ihm die Augen der Krieger zu. Es war Tellwe, ein Mann mittleren Alters, dessen linke Wange von einer gezackten Narbe zerschnitten wurde, der abrupt seinen Stuhl zurückstieß und auf ihn zu trat. Er warf Ledan einen ärgerlichen Blick zu, während er sein Wams abstreifte und es Réfen um die Schultern legte. Überrascht sah der ihn an.
    » Ihr seht aus, als wärt ihr da unten halb erfroren, Hauptmann! « , erklärte Tellwe brüsk, wobei er ihn beinah respektlos zum Tisch schob und damit näher an die Wärme des Feuerbeckens, das in der Ecke stand. Réfen ließ sich auf einen Stuhl drücken, dann reichte Naria ihm ein sauberes Tuch, das er sich um die verletzte Handfläche schlang, während Borda einen Becher mit angewärmtem Würzbier zwischen seinen Händen platzierte. Dankbar nahm er einen tiefen Schluck, betrachtete einen Moment die dunkel glänzende Flüssigkeit. Halb erfroren, ja. In seinen Fingern brannte noch immer die Kälte. Langsam hob er die Augen, sah die Männer einen nach dem anderen an. Schweigend erwiderten sie seinen Blick. In der Stille waren die Schreie, die aus den tiefer liegenden Zellen heraufdrangen, das einzige Geräusch. Borda, in dessen dunkelbraunem Haar sich das erste Grau zeigte und der vor zwei Jahresläufen seinen einzigen Sohn an das rote Fieber verloren hatte; Tellwe, der vor einem halben Leben bei einer Messerstecherei in der Lagunenstadt des Hafens beinah sein linkes Auge eingebüßt hatte und noch immer einen Groll gegen Meeresknechte hegte; Ledan, der so schnell mit dem Dolch war, dass noch nicht einmal Garwon ihm diesbezüglich das Wasser reichen konnte, und dem die Frauen zu Füßen fielen, wenn er ihnen eines seiner seltenen Lächeln schenkte; der junge Naria, der seit einem Halbmond einem Mädchen aus der Tollnagasse am Rand der Lagunenstadt den Hof machte und noch immer glaubte, er, Réfen, wisse nichts davon; und Garwon, der älteste der fünf, kühl und besonnen, ein Mann, der strickt nach dem Ehrenkodex der Krieger lebte und der auch nicht davor zurückschreckte, einem Adeligen die Meinung zu sagen, wenn er es für angebracht hielt. Sie wussten, was er hier

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