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Seelenlos

Seelenlos

Titel: Seelenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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direkt auf den gut handbreiten Pfosten, der in der Mitte des Kanals fast bis zur Decke aufragte, zugeschwemmt.
    Sobald ich schmerzhaft daranprallte, hakte ich erst einen Arm und dann ein Bein darum. Geschafft. Wenn ich nun auf der Seite blieb, aus der die Strömung kam, und beide Beine um den Pfosten schlang, konnte ich mich ausruhen.
    Als ich auf dem Hinweg die Leiche des Schlangenmannes von diesem – oder einem ähnlichen – Pfosten zum Steg geschleppt hatte, war der bei sechzig Zentimetern angebrachte Strich gerade noch sichtbar gewesen. Nun schwappte das Wasser über die Eineinhalbmetermarke.
    Sicher verankert, lehnte ich eine Weile die Stirn an den Pfosten, um Atem zu holen. Ich schloss die Augen, lauschte meinem Herzschlag und staunte, weil ich noch am Leben war.

    Nach mehreren Minuten merkte ich erschrocken, wie mir leicht schummerig wurde, und riss die Augen auf. Wenn ich einschlief, verlor ich unweigerlich den Halt und wurde wieder weggeschwemmt.
    In dieser Klemme würde ich eine ganze Weile stecken. Da der Steg unter Wasser stand, wagte sich bestimmt kein Wartungsteam herein. Niemand würde mich am Pfosten kleben sehen und retten.
    Ich musste mich also festhalten, bis das Unwetter nachließ und der Wasserspiegel sank. Nach einer Weile würde dann der Steg auftauchen und der Strom so ruhig werden, dass ich ans Ufer waten konnte.
    Beharrlichkeit.
    Um mich abzulenken, fing ich an, das vorbeischwimmende Treibgut zu registrieren. Ein Palmwedel. Ein blauer Tennisball. Ein Fahrradreifen …
    Daraufhin dachte ich mal wieder eine Weile über meinen Plan nach, im Reifencenter zu arbeiten. Bei dem Gedanken an die angenehme Atmosphäre dort wurde mir wohlig zumute.
    Ein gelbes Gartensesselpolster. Der grüne Deckel einer Kühlbox. Eine Holzlatte, aus der ein rostiger Nagel ragte. Eine tote Klapperschlange.
    Die tote Schlange brachte mich auf die Idee, im Wasser könnte auch ein lebendiges Exemplar schwimmen. Und wenn mir ein schweres Objekt – wie etwa jene Latte – von der Strömung ans Rückgrat gerammt wurde, konnte das auch allerhand Schaden anrichten.
    Von Zeit zu Zeit spähte ich deshalb über die Schulter, um das nahende Treibgut im Blick zu behalten. Vielleicht war die Schlange ein Warnzeichen gewesen, denn wegen ihr sah ich André heranschwimmen, bevor er mir um den Hals fiel.

58
    Das Böse stirbt nie. Es wechselt nur das Gesicht.
    Von diesem Gesicht hatte ich mehr als genug gesehen, und als ich den Koloss erblickte, dachte – und hoffte – ich einen Augenblick, ich würde bloß von einer Leiche verfolgt.
    Leider war er nicht nur lebendig, sondern auch in deutlich besserer Verfassung als ich. Zu ungeduldig, um sich einfach von der Strömung zu mir tragen zu lassen, schwamm er planschend auf mich zu.
    Mir blieb nur ein Ausweg: aufwärts.
    Meine Muskeln brannten. Mein Rücken pochte. Wenn ich versuchte, mit nassen Händen den nassen Pfosten zu erklimmen, verlor ich bestimmt den Halt.
    Da sah ich, dass die Wasserstandsmarkierungen nicht nur schwarz auf dem weißen Untergrund aufgemalt waren, sondern ins Holz gekerbt. Ideal war das nicht, aber vielleicht hinderten sie meine Hände und Füße daran, abzurutschen.
    Ich klammerte mich mit den Knien fest, während ich mich mühsam mit schweren Muskeln nach oben hievte, Hand über Hand. Jedes Mal, wenn ich zurückrutschte, stemmte ich die Füße fest ins Holz, dann zog ich mich weiter, ein Stück nach dem anderen. Verzweifelt kämpfend, ging es erstaunlich rasch nach oben.
    Als wenig später André mit dem Pfosten kollidierte, spürte ich den Aufprall und sah nach unten. Seine Gesichtszüge waren
so breit und grob wie ein Knüppel, in seinen Augen brannte mörderischer Zorn.
    Mit einer Hand griff er nach mir. Er hatte lange Arme. Seine Finger stießen an meine rechte Schuhsohle.
    Ich zog die Beine an. Voller Angst, abzurutschen und ihm in die Hände zu fallen, schob ich mich noch ein wenig höher, bis ich mit dem Schädel an die Decke stieß.
    Als ich erneut nach unten blickte, sah ich, dass ich selbst mit angezogenen Beinen, mit denen ich den Pfosten umklammerte, keinen halben Meter außerhalb von Andrés Reichweite war.
    Mühsam verhakte er die dicken, stumpfen Finger in den Kerben und versuchte, sich aus dem Wasser zu ziehen.
    Die Spitze des Pfahls war von einer Kugel gekrönt. Mit der linken Hand griff ich danach und hielt mich fest wie einst King Kong am Luftschiffmasten des Empire State Buildings.
    Der Vergleich passte nicht ganz, weil Kong sich unterhalb

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