Seelenmoerder
einen Liebhaber gehabt, mit dem sie über ihre Arbeit hätte sprechen können.
Doch solche Gespräche waren ein selbstverständlicher Teil ihrer Beziehung zu Ryne und für sie ein neuartiges Vergnügen.
Abgesehen davon, dass sie sogar zusammen am selben Fall arbeiteten, verstand ohnehin nur jemand, der selbst bei den Polizeibehörden arbeitete, wie frustrierend und fordernd Ermittlungen waren. Dieses Verständnis war das Sahnehäubchen auf einem explosiven Verlangen, das jedes Mal, wenn sie sich trafen, noch heißer zu brennen schien. Im Grunde vermochte Abbie es nicht zu beurteilen, doch ihr kam es so vor, als wäre diese Beziehung so perfekt, wie sie es sich nur wünschen konnte, selbst wenn sie nicht von Dauer war.
Sie ermahnte sich selbst im Stillen. Vor allem weil sie nicht von Dauer war. Schon der Gedanke, sich auf eine feste Beziehung zu einem Mann einzulassen, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren, und sie kannte Ryne gut genug, um zu ahnen, dass es ihm genauso ging. Zumindest in dieser Hinsicht war er ungefährlich. Er würde nicht mehr von ihr verlangen, als sie zu geben bereit war.
Doch schlagartig drängte sich ihr die Erinnerung an zwei Gelegenheiten auf, wo er mehr, viel mehr verlangt hatte, als sie mitzuteilen bereit war. Als er auf Antworten bestanden hatte, die sie nicht hatte geben wollen, und sie seinem hartnäckigen Bohren nicht hatte ausweichen können. Er hatte ihr bereits mehr persönliche Informationen entlockt, als sie in den letzten zehn Jahren irgendjemandem gewährt hatte – natürlich mit Ausnahme von Raiker.
Und sie hatte durchaus registriert, dass er ihre Offenheit nicht in gleichem Maße erwidert hatte.
Leicht beklommen sah sie zu, wie er mit Dennis Brown ins Gespräch vertieft auf die Schreibtische zukam. Ryne Robel hatte seine eigenen Geheimnisse, und er hütete sie ebenso wie sie die ihren. Sie würde nicht nachbohren, da sie größtes Verständnis dafür hatte, wenn jemand seine Intimsphäre wahren wollte.
Doch das hieß nicht, dass sie sich nicht wünschte, er würde ihr genug Vertrauen schenken, um ihr zu sagen, was ihn plagte. Mit einem freudlosen Lächeln erklärte sie sich selbst zur Anwärterin auf den ersten Preis in Inkonsequenz. Zum ersten Mal in ihrem Leben wollte sie genau jene Intimität haben, die sie garantiert in die Flucht geschlagen hätte, wenn man sie ihr angeboten hätte.
Abbie wartete, bis der Captain auf dem Weg zu seinem Büro war, ehe sie an ihren Schreibtisch trat. Als sie Rynes Miene sah, hob sie die Brauen. »Du siehst nicht gerade glücklich aus.«
Er musterte sie missmutig. »Dixon hat vor dem Briefing mit dem Captain gesprochen. Offenbar hat er eine Besprechung mit dem Chef gehabt und ist dabei gehörig heruntergeputzt worden, was er postwendend weitergereicht hat. Ich habe heute Nachmittag einen Termin beim Commander, da geht es dann wahrscheinlich im selben Stil weiter.«
Abbie drehte sich auf ihrem Stuhl zu ihm um. »Es wäre jedenfalls schön, wenn wir einen vorläufigen Bericht von Han über den Inhalt der Spritze bekommen könnten. Das müsste Dixon ablenken.«
Ryne nickte. »Genau das hab ich mir auch gedacht. Ich gehe jetzt gleich mal rüber ins Labor und rede mit ihm. Ich hoffe bei Gott, dass er etwas für mich hat.« Er zog seine unterste Schublade auf, nahm einen dicken Ordner heraus und reichte ihn ihr. »Das sind die neuesten Informationen, die ich von ViCAP bekommen habe.«
Sie nahm die Akte und musterte sie argwöhnisch. »Hast du nicht gesagt, ihr hättet keine passenden Übereinstimmungen gefunden?« Die Datenbank verglich charakteristische Aspekte und verwandte Vorgehensweisen bei verschiedenen Gewaltverbrechen. Das markanteste Merkmal ihres Täters war die Verwendung des Drogencocktails, zu dem es
in der Datenbank keine Entsprechungen gab. Wenn sie die Daten ohne den Zusatz mit der Droge erneut eingegeben und lediglich das Elektrokabel als Gemeinsamkeit genannt hätten, hätten sie erheblich mehr, aber auch weniger konkrete Treffer erzielt.
»Schau nicht so. Du hast doch behauptet, dass der Typ sich erst nach und nach hochgeschaukelt hat.« Er hockte sich halb auf den Tisch und verschränkte die Arme. »Falls der Drogenmix etwas Neues an seiner Vorgehensweise ist, sollten wir uns vielleicht die Fälle genauer ansehen, in denen Fesselungen mit Kabeln vorgekommen sind. Es wäre doch denkbar, dass der Täter von weniger gewaltsamen Vergewaltigungen zu solchen übergegangen ist, wie wir sie jetzt vor uns haben,
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