Seelenmoerder
bei Dixon erwischen will. Die bunten Textmarker sind in meiner Schreibtischschublade. Bedien dich.«
Sie wollte ihm schon danken, doch dann machte sie den Mund wieder zu und sah ihn befremdet an. »Wie kommst du darauf, dass ich die brauche?«
Ein angedeutetes Lächeln umspielte seine Lippen, während er sie musterte. »Wie wirst du es machen? Pink für Fälle mit Stromkabeln und blau für Sexualmorde, die Gemeinsamkeiten mit unserem Fall haben? Gelb für Gewalttaten, bei denen sich der Täter im Haus versteckt hat?«
Da sie tatsächlich vorgehabt hatte, die Unterlagen farbig zu markieren, fand sie seine treffende Mutmaßung mehr als ein bisschen ärgerlich. »Du glaubst, du kennst mich ziemlich gut, was?«
Der Ausdruck männlicher Zufriedenheit auf seiner Miene war unübersehbar. »So langsam schon.«
»Dann wird es dich ja nicht wundern, dass ich heute auch gleich die Sache mit Karen Larsen und Jim Cordray abklären will. Wenn ich den ganzen Tag über dem Ordner verbringe, tränen mir irgendwann die Augen.«
»Wie du willst.« Sein Lächeln hatte etwas verdächtig Süffisantes an sich. »Aber halt mich auf dem Laufenden.«
»Kein Problem. Viel Spaß bei deiner Besprechung mit Dixon.«
Ihre Stichelei fegte jeglichen Humor von seiner Miene, ja er zuckte regelrecht zusammen. »Du hast einen Hang zur Grausamkeit, Abbie. Ich weiß nicht, seit wann mir das an einer Frau so verdammt gut gefällt.«
Ryne lehnte sich im Besprechungsraum des kriminaltechnischen Labors an die Wand und ging in Gedanken noch einmal durch, welche Geschichte er Han auftischen wollte.
Der Chemiker freute sich garantiert nicht über sein Erscheinen, doch Ryne fand es enorm rücksichtsvoll von sich, dass er ihn nicht schon früher aufgesucht hatte. Und schließlich musste er sich mit guten Nachrichten wappnen, ehe er zu Dixon ging.
Es wäre weitaus einfacher gewesen, wenn er nur Dennis Brown rechenschaftspflichtig gewesen wäre. Der Captain hatte an vorderster Front gearbeitet, war an schwierigen Ermittlungen beteiligt gewesen und wusste, wie unglaublich mühsam es war, Hunderte scheinbar unzusammenhängende Informationshäppchen zu verbinden, um zu einer stichhaltigen Theorie zu kommen. Damals in Boston war Dixon immer mehr politisches Werkzeug als Polizist gewesen. Das letzte Jahr hatte nichts dazu beigetragen, Ryne einen anderen Eindruck zu vermitteln.
Mark Han betrat den Raum mit gewohnt ungeduldiger Miene. Ryne richtete sich auf und schärfte sich ein, diplomatisch zu bleiben. Doch das war gar nicht nötig, denn als Han ihn sah, atmete er erleichtert aus. »Gut. Ich hatte gehofft, dass Sie es sind. Ich wollte Sie schon anrufen.«
Aus Hans Mund war dies gleichbedeutend mit einer Schmeichelei, und Ryne war zunächst um Worte verlegen, ehe er erfreut den Sinn von Hans Aussage begriff. »Sie haben die Droge identifiziert?«
»Sie ist ein Traum.« Han trat rasch an einen Besprechungstisch heran und legte sein Notizbuch darauf. »Natürlich nur von einem rein wissenschaftlichen Standpunkt aus. Da hat sich jemand sehr viel Mühe gegeben.«
Er schlug das Buch auf und wies auf eine Seite. Ryne blickte auf die unleserlichen Formeln und Notizen hinab. Sie hätten ebenso gut auf Griechisch dastehen können. »Erzählen Sie mir doch einfach, was Sie gefunden haben.«
»Ich habe noch nicht alle Tests durchgeführt. Bei der geringen
Menge, die uns von dem Zeug vorliegt, muss ich vorsichtig sein. Sie haben nicht vielleicht noch mehr davon?«
Ryne versetzte dem hoffnungsvollen Blick des anderen Mannes nur ungern einen Dämpfer, doch er schüttelte den Kopf.
Han zuckte ergeben die Achseln. »Auf jeden Fall habe ich ziemlich sicher die beiden Hauptbestandteile der Mischung analysiert. Der eine ist MDMA, Methylendioxy-N-methylamphetamin.«
»Ecstasy«, murmelte Ryne. Bei den toxikologischen Untersuchungen waren bei jedem Opfer Spuren davon gefunden worden.
»Genau. Oft ist die Rede von einer erhöhten Berührungsempfindlichkeit unter Einfluss von Ecstasy. Aber Sie werden nie darauf kommen, was ich als zweites Element analysiert habe.«
»Sie wollen mich doch nicht raten lassen, oder?«
Han schob die Brille höher auf die Nase und schlug eine Seite in seinem Notizbuch auf. »Tetrodotoxin oder TTX.« Er machte eine Kunstpause und wartete auf eine Reaktion, doch als Ryne lediglich die Brauen hob, schnaubte er. »Das ist ein hochgiftiges Neurotoxin, das in über der Hälfte aller Fälle, in denen es eingenommen wird, zum Tod führt.
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