Seelenmoerder
nachgedacht, was Sie mich letztes Mal gefragt haben. Ob ich irgendjemandem von dem Feuer erzählt habe, bei dem meine Eltern umgekommen sind. Ich habe es hier in Savannah nur einem einzigen Menschen erzählt, deshalb habe ich mir keine großen Gedanken darüber gemacht. Aber Ihre Frage hat mich ins Grübeln gebracht.« Sie hielt inne und schüttelte den Kopf. »Wie gesagt, es hat eigentlich nichts zu bedeuten. Aber ich habe meine Freundin Paula extra noch mal gefragt. Sie sagt, sie hat niemandem etwas von dem verraten, was ich ihr erzählt habe – außer ihrem Freund.«
»Ihrem Freund?«
»Ich weiß nicht mal, wie er heißt. Paula ist in der Hinsicht ganz schön verschwiegen. Ich glaube, er ist verheiratet oder so. Aber ich fand es eben seltsam, dass sie es ausgerechnet ihm erzählt hat.« Sie lächelte gequält. »Allerdings bin ich auch keine Expertin für Gesprächsthemen unter Liebespaaren.«
Ryne sah aufs Display, ehe er an sein Handy ging. Angesichts der Nummer machte sein Magen einen Satz. »Abbie.«
»Ich bin mit Karen Larsen fertig und wollte dich auf den neuesten Stand bringen, ehe ich ausnahmsweise für heute Schluss mache.« Sie berichtete ihm knapp und präzise von ihrem Gespräch. »Hat Dixon dir gesagt, dass er von dem Feuer in Karen Larsens Vergangenheit wusste?«
»Ich glaube nicht. Aber das ist ja typisch. Er besorgt sich zuerst bei seiner Freundin so viele Informationen wie möglich, ehe er mich auf Karen Larsen aufmerksam macht.«
»Wenn ich heute Nachmittag noch dazu komme, werde ich mal ein paar Leute in Stratton in Minnesota anrufen.« Die Verkehrsgeräusche im Hintergrund sagten ihm, dass Abbie unterwegs war. Sie sprach in völlig neutralem Tonfall weiter. »Ich würde gern mit dem Officer reden, der bei dem ersten Brand vor Ort gewesen ist.«
»Ich habe auch noch ein paar Fragen an dich.« Da er auf allen Seiten von Kollegen umgeben war, die an ihren Schreibtischen saßen, berichtete ihr Ryne in ebenso nüchternem Tonfall von Dwayne Carsons’ Festnahmen wegen häuslicher Gewalt und Trevor Holdens unter Verschluss gehaltener Jugendstrafe. »Bis jetzt hat sich nur einer der Kollegen, die bei Carsons’ Festnahmen dabei waren, bei mir gemeldet. Da es ja sehr unwahrscheinlich ist, dass ein Täter fünfzehnhundert Meilen weit reist, um diese Vergewaltigungen
zu verüben, frage ich mich, womit wir es hier zu tun haben.«
»Mit der Beziehung zwischen dem TTX-Lieferanten und dem Täter«, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen.
Er entspannte sich etwas, als der vertraute Austausch zwischen ihnen begann. Egal was für Differenzen zwischen ihnen herrschten, er konnte sich darauf verlassen, dass sich Abbie auf die Ermittlungen konzentrierte.
»Ich habe heute Morgen bei der Einsatzbesprechung schon darüber nachgedacht, wo der Ursprung dieser Beziehung liegt. Selbst wenn der Täter seinem Drogenlieferanten nicht mitteilt, was er damit anstellt, kennt der Lieferant doch die Wirkung der Droge und kann seine Schlüsse ziehen. Dazu gehört ein gewisses Maß an Vertrauen, meinst du nicht? Daher glaube ich, dass sich die beiden schon lange kennen. Der Täter verübt die Folterungen und Vergewaltigungen aufgrund massiver Misshandlungen, die er selbst erlitten hat. Wer so schwer misshandelt wurde, schließt keine lockeren Freundschaften.«
»Warum kann es nicht auch jemand sein, der ihm zufällig über den Weg gelaufen ist und sich als nützlich erwiesen hat wie Juárez?«
»Wenn ich spekulieren müsste, würde ich das nicht vermuten. Der Kerl achtet darauf, dass er nicht identifiziert werden kann. Ich glaube, er hat sich den größtmöglichen Vorrat von dem Zeug besorgt und dann den Lieferanten ein für alle Mal verschwinden lassen, weil er zu viel weiß. Und Juárez war nur ein Sündenbock.«
Ryne rieb sich das Gesicht. Holden und Carsons waren ein Anfang, doch falls ein Angestellter von Ketrum der Lieferant war, waren alle zehn aus dem Team verdächtig. Sie hatten Zugang zu der Droge und konnten gegebenenfalls Unterlagen fälschen, um die abgezweigten Mengen zu kaschieren.
»Okay. Ich mache mich mal über die beiden schlau. Wenn ich nichts finde, müssen wir auch die anderen acht aus dem Team überprüfen.«
»Ich bin schon gespannt auf dein Update morgen früh.«
In diesem unverbindlichen Tonfall hätte sie ebenso mit Cantrell oder Holmes sprechen können. Weder von der Wut, mit der sie ihn an diesem Morgen angefunkelt hatte, noch von der zwischen ihnen entstandenen
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