Seelenmoerder
Verhör waren sie beide schlechter Laune gewesen. Sie arbeitete mittlerweile seit sieben Uhr morgens, und er war bereits da gewesen, als sie ins Büro kam. »Kein Problem.«
Er trank einen Schluck Kaffee. »Wenn Sie so viel rennen wie heute, brauchen Sie aber ein bisschen mehr als ein halbes Omelett, um wieder aufzutanken.«
Ein angedeutetes Lächeln umspielte seinen Mund, doch es unterschied sich gravierend von dem fast boshaften Grinsen, mit dem er sie an ihrem ersten Arbeitstag mehrmals bedacht hatte. Es veränderte sein Gesicht und machte sein kantiges Kinn weicher, das dringend einer Rasur bedurft hätte. Es machte ihn allzu menschlich. Und gefährlich attraktiv.
Um sich abzulenken, steckte Abbie umständlich die Speisekarte in den Ständer zurück. »Ich laufe. Und ich trainiere regelmäßig im Ring. Deshalb wollte ich Sie fragen, ob Sie mir ein Studio empfehlen können, wo beides möglich ist.«
Interessiert blickte er auf. »Sie boxen?«
»Sparring«, korrigierte sie. »Ich trainiere Muay Thai. Aber ich möchte auch im Laufen fit bleiben.«
Ryne lehnte sich zurück und musterte sie nachdenklich. »Kickboxen.«
»Sozusagen.«
»Ich kenne kein Studio, das genau das Passende anbietet.
Aber der Sportklub, in dem ich trainiere, hat einen Boxring, eine Laufbahn und Kraftmaschinen. Es ist nichts Besonderes, aber viele Cops gehen dorthin. Ich glaube, man kann auch wochenweise Mitglied werden.« Er zog einen Stift heraus, schrieb Namen und Adresse des Klubs auf eine Serviette und schob sie ihr über den Tisch. »Aber lassen Sie sich bloß von McElroy nicht dazu überreden, mit ihm in den Ring zu steigen. Er kämpft unfair.«
»Was Wunder«, erwiderte sie trocken, steckte jedoch die Serviette ein. Da sie nicht wusste, wie lange sie in Savannah bleiben würde, wäre ein Sportklub mit Wochenkarten ideal für sie. »Aber falls ich jemals mit McElroy im Ring stehen sollte, komme ich sicher alleine klar.«
Sein Lächeln reichte mittlerweile bis zu den Augen. »So langsam glaube ich das auch. Ich jogge selbst, aber das, was Sie heute gemacht haben, war kein Jogging. Sie haben ausgesehen wie…« Er schüttelte den Kopf, als fehlten ihm die Worte. »Ich hätte nie gedacht, dass jemand von Ihrer Größe so schnell sein kann. Es war, als müsste ich einen Kolibri im Auge behalten.«
Abbie wusste nicht, ob sie sich beleidigt oder geschmeichelt fühlen sollte. Zeit ihres Lebens hatte sie gegen die Vorurteile wegen ihrer geringen Körpergröße angekämpft. Letztlich war es jedoch die Wärme in Rynes Blick, die ihr die Entscheidung abnahm. Sein Blick sorgte dafür, dass ihr ein warmer Schauer über den Rücken lief, der fremd und beängstigend zugleich war.
»Ich bin eine Sprinterin. In der Schule war ich auf Hürden spezialisiert, aber auf dem College bin ich dann zur Hundert-Meter-Strecke gewechselt.« Das Laufen hatte sie vor langer Zeit einmal davor bewahrt, den Verstand zu verlieren. Jetzt glaubte sie allerdings nicht mehr daran, ihren Erinnerungen davonlaufen zu können. Sie hatte Jahre gebraucht,
um zu akzeptieren, dass ihre Vergangenheit ein unveräußerlicher Teil von ihr war, ganz egal, wie sehr sie sich bemühte, sie abzuschütteln.
Höchste Zeit, das Gespräch wieder auf berufliche Themen zu lenken, da sie inzwischen selbst das Wenige bereute, was sie bisher an Persönlichem preisgegeben hatte.
Denn er sah zu viel. Das war ihr bereits gestern aufgefallen, und sie empfand es heute als nicht weniger beunruhigend, diesen scharfen Blick auf sich gerichtet zu wissen. Falls er sie als Mann betrachtete statt als Cop, war das mindestens ebenso unerwünscht. Nichts durfte ihre Aufmerksamkeit von einem Fall ablenken, den sie bearbeitete, auch nicht der leitende Detective.
Erst recht nicht der leitende Detective.
»Irgendwelche anderen interessanten Entwicklungen heute?«
Er schüttelte den Kopf. »Nichts von Belang. Wir haben die Liste der Bronco-Besitzer weiter abgearbeitet, allerdings ohne Erfolg, wie zu erwarten war. Der Witz ist, dass sie schon beim Buchstaben H waren. Wahrscheinlich wären sie morgen ohnehin auf Juárez gestoßen. Die Spur mit dem Hundezwinger ist eine Sackgasse. Der Hersteller liefert in die ganze Welt, und dieses spezielle Modell wird von einem halben Dutzend Kleintierhandlungen hier in der Gegend verkauft. Außerdem bekommt man es in Kaufhäusern, Geschäften für Landwirtschaftsbedarf, bei Tierärzten … Sogar einige Züchter halten ein paar davon für ihre Kunden vorrätig.«
»Und
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