Seelenmoerder
ist wirklich eine passende Geschichte.« Rynes Sarkasmus war umso schneidender, weil er kontrolliert erfolgte. Er lehnte sich vor und schob Juárez einen Block und einen Stift hin. »Schreiben Sie auf, wo Sie letzten Dienstagabend waren, von fünf Uhr nachmittags bis Mitternacht. Ich will jede Minute dokumentiert haben.«
Der Mann griff eifrig nach dem Stift und dachte einen Moment lang nach, ehe er hektisch zu schreiben begann. Abbie hätte gern gewusst, wann sie mit Ergebnissen von der Spurensicherung rechnen konnten, die gerade den Bronco bearbeitete. Falls sich irgendwelche Indizien fanden, würden sie Juárez erneut in die Mangel nehmen, es sei denn, er hatte sich bis dahin einen Anwalt besorgt.
Doch vor allem wünschte sie, sie könnte das Gefühl abschütteln, dass Juárez die Wahrheit sagte.
6. Kapitel
»Das können Sie nicht wissen.«
Robel klang gereizt. Er rutschte über das rissige rote Vinylpolster in die Nische. Abbie setzte sich auf die andere Tischseite und bereute bereits, dass sie sich von ihm dazu hatte verleiten lassen, eine Meinung abzugeben.
»Sie haben mich nicht gefragt, was ich weiß , sondern Sie haben gefragt, was ich denke. Und anhand dessen, was wir mittlerweile in Erfahrung gebracht haben, halte ich Juárez nicht für unseren Täter.«
»Die Spurensicherung hat hinten im Wagen Blut gefunden. Wenn es mit dem von Barbara Billings übereinstimmt – und ich wette einen Zwanziger, dass es das tut -, denken Sie vielleicht anders darüber.«
Abbie zog eine der in Plastik eingeschweißten Speisekarten aus dem Gestell, in dem Salz- und Pfefferstreuer standen, und schlug sie ohne große Hoffnung auf. Schon der erste Blick bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen. Typisch Robel, dass er sie in das Lokal mit dem fettigsten Fastfood von ganz Savannah führte. Doch zu dieser späten Stunde gab es wahrscheinlich keine große Auswahl mehr. »Es würde mich wundern, wenn Barbara Billings nicht mit diesem Bronco zum Wasser gefahren worden wäre. Aber das heißt nicht …«
»… dass Juárez der Täter ist. Tja, da bin ich mir nicht so sicher.«
Sie war schon so an seine missmutige Art ihr gegenüber gewöhnt, dass es ihr gar nichts mehr ausmachte. »Sie wollten doch unbedingt eine Meinung hören. Glauben Sie im Ernst, Juárez ist intelligent genug, um vier Vergewaltigungen zu begehen, ohne Spuren zu hinterlassen …«
»Aber …«
»… intelligent genug, um Nummernschilder zu stehlen, damit sein Auto nicht identifiziert werden kann, aber dumm genug, um sie dann nicht verschwinden zu lassen?«
»Hey, neunzig Prozent der Leute, die ich festnehme, haben die Weisheit nicht gerade mit Löffeln gefressen.« Er hielt seinen Becher in die Höhe, als die Bedienung vorbeikam, und sie schenkte ihm sofort frischen Kaffee nach. Abbie schüttelte den Kopf, als die Frau auch ihr welchen anbot. Robel wartete, bis die Bedienung wieder weg war, ehe er weitersprach. »Solche Typen können sich bei ihren Verbrechen ganz geschickt anstellen, selbst wenn sie sonst keine Intelligenzbestien sind.«
Natürlich hatte er recht. Eine Studie über Vergewaltiger hatte ergeben, dass fast achtzig Prozent von ihnen wenig oder gar keine Bemühungen unternahmen, um ihre Identität zu verschleiern. Doch das traf auf den Täter, den sie suchten, ja ganz und gar nicht zu.
Die Bedienung unterbrach ihr Gespräch, als sie mit dem Bestellblock zurückkehrte. »Also, schöner Mann, was darf ich Ihnen bringen? Möchten Sie unsere Tagesgerichte wissen?« Die kokett geäußerten Worte richteten sich ausschließlich an Ryne.
»Ich nehme die Nummer drei von der Frühstückskarte, Spiegeleier einmal gewendet mit Speck und Toast.«
»Keine Bratkartoffeln? Unser Koch macht sie mit massenhaft Butter. Die besten von ganz Savannah.«
Abbie hätte am liebsten die Augen verdreht. Die Frau hatte ebenso viel Süßholz in der Stimme wie Haarspray in ihrer hochtoupierten Frisur.
»Nein danke.« Widerwillig wandte sich die Bedienung Abbie zu.
»Haben Sie frisches Obst?«
Die Frau blickte verständnislos drein. »Sie meinen so was wie Grapefruit?«
Abbie sah ein, dass es sinnlos war. »Bringen Sie mir bitte ein halbes Schinken-Käse-Omelett und einen Orangensaft.«
»Sind Sie sicher, dass das reicht?«, fragte Ryne, nachdem die Frau gegangen war. »Ich dachte, wir hätten beide seit dem Frühstück nichts mehr gegessen.«
Abbie wusste, dass er nur aus diesem Grund vorgeschlagen hatte, zusammen einen Happen essen zu gehen. Nach dem
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