Seelenmoerder
was ist mit der Spritze? Dafür braucht man doch in manchen Staaten nach wie vor ein Rezept, oder?«
»Nicht in Georgia. Hier kann man Spritzen ganz einfach im Drugstore und in Geschäften für Tierbedarf kaufen – mein Gott, man kriegt sie ja auch im Internet. Falls Juárez
unser Mann ist, musste er sich nicht gerade ein Bein ausreißen, um welche zu bekommen.«
»Aber nach dem, was Sie mir über die Droge gesagt haben, suchen wir nach einem Täter, der sich gut genug auskennt, um sich seine Droge selbst zusammenzumischen, und der Zugang zu den Bestandteilen hat oder …«
»Ich weiß, worauf Sie hinauswollen.« Ryne lehnte sich zurück, als die Bedienung kam und einen dampfenden Teller vor ihn hinstellte. »Wahrscheinlich hat Juárez nicht das nötige Fachwissen dafür, da wette ich. Aber unser Täter muss nicht unbedingt selbst ein halber Wissenschaftler sein, es reicht, wenn er einen kennt.«
Belustigt beobachtete Abbie, dass sich die Bedienung unverhältnismäßig viel Zeit dabei ließ, Rynes Teller akkurat auszurichten und ihm eine Serviette auf den Schoß zu legen. Noch amüsanter war sein Blick, der zeigte, wie peinlich ihm das ganze Theater war. Trotz seiner Miene war sie überzeugt davon, dass er an die Zuwendung von Frauen gewöhnt war.
Abbies Teller wurde weit weniger liebevoll serviert, und beide begannen zu essen. Nach dem ersten Bissen merkte sie, dass sie einen Bärenhunger hatte. Schweigend schaufelten sie beide minutenlang Essen in sich hinein. Als Abbie einen Schluck Orangensaft trank, spürte sie seinen Blick auf sich ruhen.
Er zeigte mit der Gabel auf sie. »Sie waren einkaufen.«
Im ersten Moment verstand sie nur Bahnhof. Dann sah sie auf ihre blau gestreifte Bluse hinab und begriff. Sofort war sie wieder auf der Hut. »Ich hatte leider keine Wahl. Wahrscheinlich muss ich noch dankbar dafür sein, dass der Einbrecher nicht auch meine Hosen und Schuhe aufgeschlitzt hat.«
»Ich habe mir ein paar Gedanken darüber gemacht.« Er kaute langsam und ließ Abbie nicht aus den Augen. »Dass
jemand Ihre Kleidung zerschneidet, kommt mir ziemlich persönlich vor. Ein Rowdy sprayt vielleicht Graffiti auf die Wände und demoliert die Einrichtung, aber das, was in Ihrem Kleiderschrank passiert ist … Es wirkt so, als wäre es eine Frau gewesen.«
Einen Moment lang schien Abbies Herzschlag auszusetzen. Mit knapper Not presste sie etwas Luft in ihre Lunge, ehe sie mit einstudierter Gelassenheit nach ihrer Gabel griff und zu Ende aß. »Weil sich nur Frauen für Kleidung interessieren? Dann kennen Sie meinen Friseur nicht.«
»Okay, vielleicht auch ein Mann. Aber auf jeden Fall jemand, der weiß, wie man Ihnen zusetzt.« Obwohl sie absichtlich nicht aufsah, spürte sie seinen Blick auf sich ruhen. »Ein Exfreund vielleicht. Gibt es jemanden, der Ihnen hierher gefolgt sein könnte? Jemanden, der wütend auf Sie ist?«
Zuerst war sie so erleichtert, dass sein Verdacht von einem weiblichen auf einen männlichen Eindringling übergegangen war, dass ihr sein Unterton gar nicht auffiel. Bestimmt war es nur Einbildung, dass irgendetwas anderes als rein berufsbedingtes Interesse mitgeschwungen hatte.
Sie ging weder auf das eine noch auf das andere ein und trank ihr Glas aus. »Kaum vorstellbar, dass jemand wütend auf mich sein könnte«, sagte sie mit ihrer süßlichsten Stimme und stellte ihr Glas ab. »Ich bin doch so nett.«
Als sie nach ihrer Tasche greifen wollte, hinderte er sie daran, indem er eine Hand auf ihre legte. »Sie wollen es mir also nicht sagen?«
Sie ignorierte das Pochen in ihren Schläfen und sah ihn verständnislos an. »Es gibt nichts zu sagen.« Das war nicht unbedingt gelogen, sagte sie sich und verdrängte den Anflug von schlechtem Gewissen. Wahrscheinlich hatte sie gestern Abend vorschnelle Schlüsse gezogen. Es gab keinen plausiblen Grund dafür, warum Callie ihr hierher hätte folgen
sollen, nachdem sie monatelang jeglichen Kontakt verweigert hatte.
Doch plausible Gründe fehlten meist in Callies Verhalten, vor allem dann, wenn sie ihre Medikamente abgesetzt hatte. Und jede Erklärung hinsichtlich ihrer Schwester würde zu Enthüllungen führen, die sie keinesfalls machen wollte. Nicht gegenüber diesem Mann.
Lange fixierten sie einander, ohne sich abzuwenden. So lange, dass sie hinter die gletscherkalte Oberfläche seiner Augen sehen konnte und erkannte, dass sie aus Interesse, Anteilnahme und vielleicht sogar etwas Persönlicherem warm werden konnten.
Als er seine Hand
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