Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
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»Friederike Petzold arbeitet hier bei Ihnen?«
Der grobschlächtige, untersetzte Mann sah lächelnd zu Michael Wiener auf. Seine blaue Latzhose war über und über mit Öl verschmiert, das Schild in der Mitte schwer zu entziffern. Paul Klemm & Söhne, vertragsfreie Werkstatt, stand dort. Während er sich eine Antwort zurechtlegte, fuhr er sich wohlgefällig über seinen Bauch, der sich weit vorwölbte. Michael Wiener wartete und sah sich diskret um. Die Werkstatt war klein und übersichtlich. Es gab ein Büro, eine Halle mit drei Hebebühnen und zwei weiteren Arbeitsflächen. An allen Plätzen wurde gewerkelt. Junge Leute, stellte Wiener fest. Ein gesetzterer Herr ging von einem zum anderen, gab Tipps oder legte selbst Hand an. Der Hof war sauber, doch an der Seite stapelte sich ein großer Berg von Schrottteilen, die wohl darauf warteten verkauft oder wiederverwendet zu werden. Ich glaube, hier würde ich meinen Wagen nicht unbedingt zur Reparatur hinbringen, dachte er.
»Was heißt bei denen schon arbeiten? Heute ist sie zum Beispiel erst gar nicht erschienen!«, erklärte der Werkstattmeister endlich gutmütig und strich sich über seine Glatze, an deren Rand nur noch ein paar Areale mit stoppelndem Haarwuchs auszumachen waren.
»Das konnte sie auch nicht…«
»Nicht mal angerufen hat sie!«, fiel ihm der Meister ins Wort. »Feine Früchtchen, die jungschen Dinger heute!«
»Sie wurde ermordet.«
»Hä?«
»Sie wurde heute Morgen tot in ihrer Wohnung aufgefunden.«
»Sajen Se mal – wer zum Teufel sind Se eijentlich?«, Herr Klemm sah Michael Wiener aufgeregt aus zusammengekniffenen Augen an.
»Michael Wiener, Kriminalpolizei Cottbus.« Er zückte seinen Ausweis, doch der andere wischte ihn mit einer mürrischen Handbewegung beiseite.
»Ich hab meine Brille nicht da. Ermordet? Na, das ist ein Ding!«
Der dickliche Mann trat zur Seite und dirigierte Michael Wiener in ein kleines Büro neben der Halle.
»Und wissen Sie schon wer es war?«
Der junge Ermittler schüttelte bedauernd den Kopf.
»Wir versuchen uns ein Bild von dem Mädchen zu machen. Erzählen Sie mir ein bisschen von ihr!«
»Tja – wat soll ich da erzählen?« Er grübelte einige Zeit und als er anfing zu sprechen, schwankte seine Stimme bedenklich und er verfiel in seinen Dialekt. In seinen auffällig blauen Augen schimmerten Tränen.
»Ermordet. Ick kann det jar nich fassen. Wissen Se – Morde kenn ick doch nur aus ’em Fernsehen. Und det trifft doch sonst nur so ’ne prominenten Leute wie zum Beispiel den Mooshammer. Noch nie wurde jemand jetötet, den ick kannte. Noch nie! Nich mal bei ’nem Unfall!«
Michael Wiener schwieg.
»Die Kleine«, begann der Meister dann erneut bedächtig, »die Kleine war mit Sicherheit einer der unzuverlässigsten Lehrlinge, die ick je hatte. Und wir sind schon seit Jahrzehnten Ausbildungsbetrieb. Zu mir schickt dat Jugendamt jerne junge Leute, die Probleme haben Fuß zu fassen. Einije waren vorher straffällig und solche Sachen eben. Ick kümmer mich dann um sie und die meisten bleiben bei der Stange und schließen ihre Ausbildung och ab. Aber bei der Kleinen hat et von Anfang an jehakelt.«
»War sie nicht geeignet? Vielleicht war ihr die Arbeit hier zu schwer?«
»Oh, ne, ne. Die war sehr jeschickt. Und körperlich war et keen Problem. Die Friederike war echt stark. Und ein jutet Jehör hat se jehabt. Die konnte sofort hören, wat im Motor falsch jetickt hat.«
»Was war es dann?«
»Sie kam nich regelmäßig. Wenn se keene Lust hatte, blieb se in Bette. Manchmal stand auch einer von ihre Freunde plötzlich uff der Matte und schwupp war se verschwunden. Ohne zu frajen. Ein paar Mal war sie betrunken und ab und an dachte ick, se hätte irjendwat an Drogen einjeworfen. Aber an juten Tagen war se einer meiner Besten! Man kann so wat nich ewig durchjehen lassen. Sonst machen das mit einem Mal hier alle so. Also musste ick schon manchmal ein paar deutliche Worte an se richten. Klar, oder?«
»Ja. Verstehe ich schon. Sonst reißen bei Ihnen ganz neue Sitten ein«, beruhigte Michael Wiener den Ausbilder.
Erleichtert darüber, verstanden worden zu sein, nickte der Meister.
»Hat Sie Ihnen denn auch manchmal von ihren Problemen erzählt?«
»Wat denn für Probleme?«
»Mit Bekannten, den Eltern, Nachbarn – Probleme kann man schließlich an allen möglichen Ecken und Kanten haben.«
»Ick weiß, dat se mit ihren Nachbarn ganz schön Stress hatte. Und ehrlich jesagt wundert
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