Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
Schultern.
»Wann ist es denn schade? Hängt das vielleicht vom Beruf ab? Oder vom Einkommen? Um einen Polizisten ist es schade, um einen Gerichtsvollzieher nicht? Um den Arzt schon, aber beim Pförtner müssen wir erst mal nachdenken? Ist es so? Was hat sich denn da in unser Denken geschlichen!«
Wütend schlug Peter Nachtigall die Autotür hinter sich zu.
8
»Einige der Fingerabdrücke konnte der Computer problemlos zuordnen. Liest sich wie ’ne Liste alter Bekannter: Jan Lobedan, vorbestraft wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung, Paul Neumann, zweieinhalb Jahre wegen schwerer Körperverletzung, Matz Krautzig, zwei Jahre auf Bewährung wegen Dealerei, Jörg Schuster, 17 Jahre alt, Dauergast bei der Jugendnothilfe, Verurteilung zu 20 Stunden sozialer Arbeit nach einem Diebstahl, Marie Armbruster, zwei Jahre wegen Körperverletzung und Julia Renz drei Jahre wegen eines Überfalls auf einen Juwelier – beides auf Bewährung.« Michael Wiener schob seine randlose Brille auf der Nase zurecht und fuhr sich ein bisschen affektiert durch die gestylte Föhnfrisur. Er war groß und hager, stets mit Rollkragenpullover gekleidet, der ungeschriebenen Kleiderregel der Informatikfreaks folgend. Nachtigall fragte sich oft, wie er das aushielt bei Temperaturen um die 30° C.
»Schön. Dann laden wir uns die Herrschaften doch ein. Am besten wird es sein, einen Wagen zum Goethepark zu schicken. In der Zwischenzeit fährst du bei dieser Werkstatt vorbei. Vielleicht hatte sie dort Freunde.«
»Ey, Mann! So geht das nicht. Ich hab schließlich auch meine Rechte!«
Na, das konnte heiter werden, sinnierte Peter Nachtigall, als er den stickigen Raum betrat. Die Fenster waren klein und eng vergittert, die Sonne wurde durch dunkle Rollläden ausgesperrt, doch die Hitze hatte ihren Weg längst in alle Räume des Gebäudes gefunden.
Der junge Mann, der ihn erwartet hatte, lümmelte auf dem unbequemen Stuhl und warf ihm einen provozierenden Blick zu. Die unzähligen Tätowierungen, die sich über seine Arme zogen, um den Hals wanden und selbst seine Stirn zierten, waren nicht das einzige Auffällige an ihm. Die Jeans war zerschlissen, doch über der Hüfte trug er drei metallbeschlagene Gürtel an denen viele kleinere und größere Täschchen und Beutel befestigt waren. Totenkopfanhänger baumelten daran und aus einem der Ledersäckchen rieselte bei jeder Bewegung des Mannes ein bisschen Tabak zu Boden. Das T-Shirt hatte eine nicht zu bestimmende Farbe und war mit Nieten und Metallringen verziert. Nachtigall fragte sich, ob es nicht ständig klimperte, wenn der Mann sich bewegte.
»Ihr Name ist Paul Neumann?«
»Wer will das wissen, he?«
»Ich. Hauptkommissar Nachtigall. Also, sind Sie nun Paul Neumann?«
»Ey, Mann! Wieso bist du bloß so genervt? Du kennst mich doch gar nicht.«
Nachtigall seufzte. Die Kollegen hatten ihm bestimmt den Richtigen in den Raum gesetzt. Wenn diese Frage für den jungen Mann schon schwer zu beantworten war, dann würden ihn die weiteren vor noch größere Probleme stellen. Er legte das Aufzeichnungsgerät auf den Tisch und schaltete es ein.
»Unser Gespräch wird aufgezeichnet. Also Herr Neumann, kennen Sie Friederike Petzold?«
»Yupp.«
»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«
»Wieso?«
»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?« Starrköpfigkeit gegen Starrköpfigkeit. Nachtigall kam sich ein bisschen spätpubertär vor.
Paul Neumann atmete tief durch, grinste Peter Nachtigall sardonisch an und schwieg.
»Wie Ihnen bereits mitgeteilt wurde, sind sie heute zunächst als Zeuge hier. Sollten Sie weiterhin nicht kooperieren, könnten Sie ganz leicht zum Verdächtigen in einem Mordfall werden.«
»Blödsinn!«
»Wir haben Ihre Fingerabdrücke in der Wohnung von Frau Petzold gefunden.«
»Wow! Und? Da war ’ne Party. Außer mir waren jede Menge anderer Leute da!«
»Wann haben Sie die Wohnung verlassen?«
»Menschen wie ich unterwerfen sich nicht dem Diktat der Zeit. Das ist nur was für Spießer«, informierte ihn der Zeuge und grinste maliziös. »Ich besitze gar keine Uhr.«
Peter Nachtigall beschloss Kaffee zu holen. Vielleicht würde diese Friedensgabe die Stimmung entscheidend verbessern. Ob Albrecht Skorubski mit seinem Kandidaten wohl mehr Erfolg hatte? Vielleicht sollte er den jungen Mann auch einfach mal eine Stunde über das Problem nachdenken lassen – in der Zwischenzeit könnte er versuchen noch etwas mehr über das Opfer zu
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